136 Die Ereignisse an der Westfront von Mitte Januar bis Mai 1915
in seinem Lauf, besinnt sich, daß er die Pflicht hat, unausgesetzt nach dem Feinde zu
spähen, und blinzelt angestrengt in die Sonne, zum andern Berge hinüber. Aber er sieht
nichts Verdächtiges dort drüben. Er sieht überhaupt keinen Menschen in dem schwarzen,
kahlen Gipfelgestein, wo, wie man ihm gesagt hat, diese Deutschen stehen sollen. Er
läuft wieder Trab, der frierende kleine Franzose, und er denkt nur noch an seine Ab
lösung und gar nicht mehr an den bösen Feind.
Zwischen den verwitterten Granitblöcken des Berges gegenüber lagert eine deutsche
Patrouille. Auf Skiern ist sie in dunkler Morgenfrühe hinaus, behutsam und schweigend,
und nun beobachtet sie, nach stundenlangem Marsche, in guter Deckung die feindlichen
Stellungen. Der ungeduldige kleine Alpenjäger, der eine so vortreffliche Figur gegen
den blauen Morgenhimmel macht, ahnt nicht, daß der Winter seines Mißvergnügens den
deutschen Schneeschuhfahrern drüben einen Mordspaß bereitet. Die französische Wach
ablösung, die sich schwerfällig stapfend im Dorfe drunten in Bewegung setzt, ahnt eben
sowenig, daß sie von der verschneiten Höhe dort genau abgezählt und registriert wird.
Und wahrscheinlich wird ihr das Unglück widerfahren, eines Abends oder Morgens den
deutschen Feind so rasch vor und hinter sich zu spüren, daß ihr jeder weitere Aufstieg
zu den unwirtlichen Postenständen aus den ungesunden Vogesenbergen erspart bleibt...
Die deutschen Skifahrer in den Vogesen waren anfänglich militärisches Geheimnis —
jetzt darf man von ihnen sprechen. Der Leser ist vernünftig genug, um nicht gleich einen
Bericht über ihre Zahl und Art von mir zu verlangen. Sie können u. a. auch Vor
postendienste leisten, unsere Kompagnie weiß ein Lied davon zu singen, und das klingt
einigermaßen mit Schneesturmbegleitung und Nebeltreiben; wir singen es in 1200 Meter
Höhe, soweit wir unsere edlen Tenorstimmen von der zähen Heiserkeit bewahrt haben,
die hier oben auch den Soldaten gar zu leicht überfällt.
Wir kommen uns manchmal fast wie Nordpolfahrer vor, wenn der Schneesturm in
wilden Stößen gegen unsere Hütte poltert oder uns mitsamt unseren Hölzern von der
Höhe hinunter ins Tal jagen möchte. Solange aber noch die Post an jedem Tage bis
zu uns getragen wird und der Telephondraht uns berichtet, was unsere Unterseeboote den
großen Herren drüben für Leibweh verursachen — so lange sind wir nicht von der Welt
geschieden, auch wenn es manchmal so scheinen könnte. Da steht der Nebel dick und zäh
wie eine Mauer, man sieht bei Tage keine fünfzig und bei Nacht keine fünf Schritt weit.
Der Rauhreis setzt sich in wunderhübschen Kristallen wie ein Panzer um uns fest, und
die Patrouillen kommen hereingeschneit wie die leibhaftigen Eisheiligen. So sorgt die
Natur selbst dafür, uns den feindlichen Fernstechern unkenntlich zu machen. Die Kälte
stört keinen rechten Skifahrer, so lange er die Glieder regen darf. Muß er stillhalten,
um zu beobachten, stundenlang oft, so hilft ihm das Feuer der Erwartung über die
nassen Füße hinweg. Und kann er wirklich was Gewisses melden, so ist er reich für
alle Mühsale belohnt.
Wir hatten allerhand Wunderdinge von der Fixigkeit der französischen Alpenjäger und
ihrer Ausbildung auf Skiern gehört — gesehen habe ich persönlich davon noch nicht viel.
Es scheint säst, daß die starken Verluste der Alpenjäger auch ihre Ski-Abteilungen ge
troffen haben. Ebenso scheinen die englischen Sportsleute, die sonst um diese Jahreszeit
das Engadin auf Schneeschuhen unsicher machen, den Aufruf jenes Colonels nicht befolgt
zu haben, der zur Gründung eines freiwilligen Skikorps aufforderte. Wir würden gerade
mit den englischen Sportbrüdern ungemein gern einen kleinen Wettlauf veranstalten.
Vielleicht sind sie uns im Hoch- und Weitsprung bedeutend über. Und vielleicht treffen
wir sie doch noch! Auch vereinzelte Musterexemplare dürfen aus guten Empfang rechnen.
Die Vogesen wären auf ihrer deutschen Seite als Skigelände prachtvoll, wenn sie
Dauerschnee hätten. Aber der fehlt ihnen leider, weil die starke ozeanische Luftzufuhr