Die Kämpfe im Abschnitt Lille — Arras
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dehnung gleich der unserer ganzen ersten Armee. Wir werden jetzt mit ungefähr
48 Bataillonen einen Abschnitt dieser Front angreifen, der nur von etwa drei deutschen
Bataillonen verteidigt wird. Am ersten Tag des Kampfes werden die Deutschen vor
aussichtlich höchstens noch vier weitere Bataillone zur Verstärkung für den Gegenangriff
heranziehen können. Schnelligkeit ist daher die Hauptsache, um dem Feind zuvorzu
kommen und um Erfolg zu haben, ohne schwere Verluste zu erleiden.
Niemals in diesem Kriege hat es einen günstigeren Augenblick für uns gegeben,
ich bin des Erfolges ganz gewiß. Seine Größe jedoch hängt von der Schnelligkeit und
Entschlossenheit unseres Vorgehens ab.
Wenn wir auch in Frankreich fechten, so wollen wir uns doch immer vor Augen
halten, daß wir für die Erhaltung des britischen Reiches kämpfen und für den Schutz
unserer Heimat gegen die planmäßige Barbarei des deutschen Heeres. Wir müssen alle
zu dem Erfolge beitragen und wie Männer für Altenglands Ehre kämpfen."
Die Kampfbegeisterung war denn auch im englischen Heere groß. „Wir hatten zum
ersten Male Gelegenheit, dem Feinde in gleicher Stärke zu begegnen," schreibt ein Eng
länder in einem Briefe, den die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" veröffentlicht hat:
„Die Inder standen wie aus Kohlen, sie tanzten und brüllten wie verrückt. Jeder
einzelne war der Eintönigkeit des Schützengrabenlebens überdrüssig und sehnte sich nach
etwas Anregendem.
Um 7 Uhr begann die Beschießung, 350 Kanonen feuerten gleichzeitig aus kurzes
Ziel. Es war das schlimmste Getöse, das ein Soldat jemals zu hören bekommen hat.
Die Gräben und Barrikaden zitterten, und die Flammen der platzenden Granaten
blitzten an allen Ecken und Enden auf. Es war schwer, unsere Männer zurückzuhalten
und am Feuern zu verhindern. Unsere Offiziere bestanden darauf, daß sie am Boden
der Laufgräben zusammengekauert blieben, bis der Befehl zum Angriff kam, andernfalls
wären sie von unserem eigenen Schrapnellfeuer getroffen worden. Die Beschießung
dauerte dreiviertel Stunden, dann ertönte eine Signalpfeife, und unsere Soldaten stürzten
aus den Gräben mit aufgepflanzten Bajonetten, Offiziere voran. Sie legten im Lauf
die 200 Meter zurück, die zwischen den deutschen und englischen Stellungen lagen, wobei
sie unausgesetzt dem heftigen Feuer der versteckt aufgestellten deutschen Maschinengewehre
ausgesetzt waren. Wir feuerten nicht, denn Schießen nimmt Zeit in Anspruch. Es war
nur ein rasender Sturmlauf in offener Formation. In der ersten Linie fanden wir nur
Tote und Verwundete. Immer weiter über die Gefallenen hinweg in die zweite Linie,
die sich ungefähr 100 Meter hinter der ersten befand. Mit lauten Hurrarufen stürzten
uns die Deutschen in Schwärmen entgegen, ebensosehr auf einen Kampf brennend wie
wir selbst. Man ging mit Gewehren und Bajonetten gegeneinander los, ein Kamps
entbrannte Mann gegen Mann, Schüsse aus nächster Nähe, dann der kalte Stahl. Die
Gurkhas grinsten und stachen drauf los. Ganze Bataillone lösten sich von den Ver
bänden und kämpften unabhängig unter ihrem eigenen Obersten. Jede noch so wichtige
Mauer war eine kleine Festung geworden, hinter der ein mörderisches Maschinengewehr
arbeitete, und jede Mauer mußte einzeln genommen werden. Die Deutschen bildeten
eine dritte Linie, etwa 400 Meter hinter der zweiten, und auch diese mußte erobert
werden."
Aehnlich nur viel ausführlicher lautet der Bericht des von der englischen Regierung nach
der Front entsandten offiziellen Beobachters des „Augenzeugen". Er schreibt: „Nachdem
das Signal zum Sturm gegeben worden war, waren in weniger als einer halben Stunde
beinahe alle Reihen deutscher Laufgräben an und um Neuve-Chapelle in unseren Händen.
Außer an einer Stelle wurde kaum Widerstand geleistet; denn die Laufgräben, die hier
und da durch das Geschützseuer buchstäblich weggefegt worden waren, lagen voll Toter und