Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

Die Ereignisse an der Westfront 
von Mitte Januar bis Mai 1915 
Fortsetzung von Band III, Seiten 65—240 
Drei Kriegslieder 
Von Professor Or. Wilhelm Wundt 
Wie sich im Volkslied die Regungen der Volksseele vielleicht am treuesten spiegeln, 
so ist das Lied, das der Soldat singt, wenn er in den Krieg zieht, wohl der treueste 
Ausdruck der Affekte, die in der Nation erwacht sind, und in denen die im Frieden 
gleichfalls nicht fehlenden, aber stiller waltenden seelischen Triebe offener zutage treten. 
Dabei sind es jedoch nicht sowohl die dem Gebiet des eigentlichen Volksliedes angehörigen, 
nach Ort und Zeit wechselnden Soldatenlieder, als die von den zum Kampf ausziehenden 
Kriegern, die aus allen Gauen des Landes zusammenströmen, dem Schatz der nationalen 
Dichtung entnommenen, zu Nationalliedern gewordenen Gesänge, die den Charakter der 
Nationen am treuesten wiedergeben. 
Zugleich sind es durchweg Dichtungen, die durch ihre Wiederkehr im Wandel der die 
Herzen zu starken Vaterlandsgesühlen erhebenden geschichtlichen Ereignisse hier in erster 
Linie stehen. Keines dieser Kriegslieder kommt der Marseillaise gleich, nicht nur 
an Kraft des Ausdrucks, sondern mehr noch als treues Bild des französischen Geistes. 
Die Worte „Hs jour de gloire est arrive“, sie begeistern nicht bloß den Soldaten, 
der ins Feld zieht, sondern den Kleinbürger mitten im Frieden. Ehre und Ruhm, 
das sind die aufs höchste zu schätzenden Güter des Lebens. Ehre und Ruhm zunächst 
für den einzelnen, dann aber, von ihm zurückstrahlend für das Vaterland, für die „große 
Nation"! Anders klingt das englische Nationallied, das ebenfalls nicht bloß im Krieg, 
sondern nicht minder im Frieden gehört wird, wo eine nationale Gefahr droht oder 
auch nur ein schwerwiegendes Interesse in Frage steht. Da verstummt die lokale Königs 
hymne, die sich schon durch die lokale Affektlosigkeit ihrer Melodie als pflichtschuldige Be 
gleiterin einer zeremoniellen Huldigung zu erkennen gibt, und bei der die wirkliche Be 
geisterung oft durch ihre Abwesenheit glänzt. Das wirkliche Nationallied, in das der 
Brite die ganze Leidenschaft seiner Seele ergießt, ist „Laie Britannia“! Es reicht 
in eine Zeit zurück, in der sich Albion der ungeheuren Bedeutung seiner Seeherrschast 
eben bewußt geworden war, und noch heute erklingt es zu Land und Meer, wo irgend 
diese Herrschaft auch nur von fern angetastet werden sollte. Macht und Herrschaft, 
das sind die Güter, die der Brite nicht etwa heiß begehrt, wie der Franzose den Ruhm, 
sondern die er als einen sicheren ihm gebührenden Besitz betrachtet, heute mehr vielleicht 
als jemals, weil heute, im Zeitalter des Weltverkehrs, die Herrschaft über das Meer 
die Herrschaft über die Welt bedeutet. Darum birgt aber auch das „Rode Britannia“ 
eine tiefere und stetigere Leidenschaft in sich als der brausende Ruf der Marseillaise, und 
diese Leidenschaft wirkt um so stärker, als sie die sonst gemessene Lebenshaltung des Briten, 
wie ein unerwarteter Sturm das ruhige Gewölk, durchbricht. 
Bescheidener, viel bescheidener stellt sich neben beide das deutsche Kriegslied, das sich 
im Munde unserer Soldaten, ob sie in West oder Ost kämpfen, und aus welchen Gauen 
des Deutschen Reiches sie stammen mögen, zuerst im Kriege von 1870 und dann wieder 
in dem von 1914 den Vorzug vor allen anderen errungen hat. Wir besitzen eine Menge 
vaterländischer Lieder, von denen viele bis auf die Zeit der Freiheitskriege zurückgehen. 
Sie werden in Männergesangvereinen und patriotischen Versammlungen gesungen. Ernst 
Moritz Arndts Lied vom deutschen Vaterland mit der leider nur ungenügend beantwor- 
VMerkrieg. V. 1
	        
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