280 Der Seekrieg bis zur Erklärung der Unterseebootsblockade gegen England
Der Kaperkrieg der deutschen Unterseeboote
Kurz nach der Besetzung der belgischen Küste zeigten fich dort deutsche Untersee
boote. Sie waren offenbar in zerlegtem Zustand mit der Eisenbahn dorthin geschafft
und an Ort und Stelle zusammengesetzt worden. Die englische Presse erkannte sofort
die Gefahr, die dem englischen Handel dadurch drohte; ein Unterseeboot, schrieb die
„Morning Post", sei gefährlicher als ein Zeppelin.
Es sollte sich bald zeigen, wie richtig das Blatt vorausgesagt hatte. Am 23. November
1914 brachte das Unterseeboot „II 21" einen englischen Dampfer angesichts der belgi
schen Kriegsrestdenz Le Havre zum Sinken, drei Tage darauf ereilte einen zweiten eng
lischen Dampfer fast an derselben Stelle das gleiche Schicksal. Im Dezember und
Januar versuchten deutsche Unterseeboote — allerdings erfolglos — in den Hafen von
Dover einzudringen. Unterdessen häuften sich die Nachrichten über versenkte Handels
schiffe immer mehr; bis in die irische See drangen die deutschen Tauchboote vor. Wie
die deutschen Offiziere im Anfang des Unterseekriegs verfuhren,
schildern übereinstimmend zahlreiche Erzählungen von Mannschaften der versenkten
Schiffe: Die Dampfer erhielten Befehl zum Halten. Zwei Offiziere gingen an Bord
oder ließen den Kapitän des Dampfers an Bord des Unterseeboots kommen, um die
Papiere zu prüfen. Die deutschen Offiziere sprachen fließend englisch und drückten ihr
Bedauern aus, das Schiff gemäß ihren Befehlen versenken zu müssen. Sie gaben der
Mannschaft zehn Minuten Zeit, um ihre Sachen zu packen und das Schiff zu verlassen.
Die deutschen Matrosen reichten der Besatzung Zigarren und Zigaretten.
Trotz dieses humanen Vorgehens der deutschen Marine erließen das englischeund
das französische Marineministerium geharnischte Entrüstungskund
gebungen: die deutsche Flotte sei offenbar entschlossen, das Völkerrecht systematisch
mit Füßen zu treten. Sie stelle sich durch das Torpedieren wehrloser Handelsschiffe
außerhalb der zivilisierten Gesellschaft, und dergleichen Phrasen mehr.
Wenn fich in der Folge allerdings herausstellte, daß es den deutschen Unterseebooten
nicht immer möglich war, die Versenkung des feindlichen Kauffahrers vorher anzu
kündigen und der Besatzung Zeit zum Verlassen des Schiffs zu geben, so ist daran
einzig und allein das Verhalten verschiedener feindlicher Handelsschiffe
schuld: sie suchten — offenbar auf „höhere" Weisung — dem deutschen Tauchboot zu
entkommen, es zu rammen oder gar es durch Abwehrkanonen in den Grund zu bohren.
England hatte nämlich seit Kriegsausbruch eine große Zahl seiner Handels- und Passa
gierdampfer bewaffnet. Es handelt sich hier nicht wie in der deutschen Marine um Hilfs
kreuzer, die nach ihrer Bewaffnung Mannschaften der Kriegsmarine als Besatzung er
halten und von da an nur noch kriegerischen Zwecken dienen. Die englischen bewaff
neten Handelsschiffe behalten ihren „Zivilberus" bei, ihre Mannschaften sind also
völkerrechtlich als Franktireurs zu betrachten und zu behandeln.
Daß sich die deutsche Regierung durch die feierlichen Proteste Englands und Frank
reichs nicht abhalten ließ, aus dem beschrittenen Weg weiterzugehen, zeigte ein Erlaß
des deutschen Admiralstabs vom 1. Februar 1915: „England ist im Be
griff, zahlreiche Truppen und große Mengen von Kriegsbedarf nach Frankreich zu ver
schicken. Gegen diese Transporte wird mit allen zu Gebote stehenden Kriegsmitteln
vorgegangen. Die friedliche Schiffahrt wird vor der Annäherung an die französische
Nord- und Westküste dringend gewarnt, da ihr bei Verwechslung mit Schiffen, die
Kriegszwecken dienen, ernste Gefahr droht. Dem Handel nach der Nordsee wird der
Weg um Schottland empfohlen."
Am folgenden Tag wurde ein englischer amtlicher Geheimerlaß bekannt, der
zeigt, wie wenig die Engländer selbst gesonnen sind, die Bestimmungen des Völkerrechts