272 Der Seekrieg bis zur Erklärung der Unterseebootsblockade gegen England
Passagiere im Falle des Sinkens des Schiffes retten zu können, stellten wir „Barbaren*
auf einige Minuten das Feuer ein, damit der Dampfer wieder aus der Schußlinie ge
langen könnte. Nachdem wir auch in Whitby die militärischen Anlagen zerstört hatten,
war unsere Aufgabe gelöst, und wir traten wieder die Rückfahrt an. Gegen 2 Uhr
schlug das bis dahin ziemlich klare Wetter um, eine hohe See setzte ein, so daß die
Wellenberge sich haushoch türmten, bald brach auch die Dunkelheit herein, und im
Schutze der Nacht erreichten wir den heimischen Hafen wieder. Unsere Schiffe erhielten
bei dem gelungenen Anschlag nur einige Treffer, die aber kaum nennenswert sind. Der
Schaden, den wir den Engländern zugefügt haben, muß dagegen sehr groß sein. Aber
noch schwerer ist wohl die moralische Wirkung zu werten, die unser kühnes Erscheinen
an der englischen Küste erzielt hat.*
Ueber die Wirkung der Beschießung berichten die englischen Zeitungen noch folgende
Einzelheiten: Vor Scarborough richteten die deutschen Kriegsschiffe ihre Feuer vor
nehmlich auf den Bahnhof und die Station für drahtlose Telegraphie. Daraus beschossen
sie die elektrische Zentrale und die Gasfabrik. Es wurden jedoch auch viele andere Ge
bäude getroffen; kaum eine Straße blieb ganz unbeschädigt. Hunderte von Einwohnern
waren geflohen, aber Hunderte von Neugierigen aus der Umgegend kamen herein, um
sich die Beschädigungen anzusehen. Die deutschen Kriegsschiffe zeigten außerordentliche
Kaltblütigkeit; sie fuhren in die Bucht hinein und näherten sich der Küste dichter, als
es jemals ein anderes Kriegsschiff getan hat. Die Fischer sagten, kein Lotse würde es
gewagt haben, ein Schiff so dicht an die Küste zu bringen.
Ein verwundeter Matrose, der in Hartlepool befragt wurde, erzählte: „Sofort
nachdem das Herannahen des Feindes signalisiert worden war, bereiteten wir uns auf
den Kamps vor, aber das Feuer fing schon an, bevor wir den Hafen verlassen hatten.
Die Küstenbatterien beantworteten das Feuer kräftig. Der erste Schuß traf unser Schiff,
gerade als es den Hafen verließ, und richtete einigen Schaden an der Kommandobrücke
an. Im ganzen wurde unser Schiff dreimal getroffen. Unsere Geschosse erreichten
wahrscheinlich den Feind nicht. Wir waren gezwungen, Schutz in der Flußmündung zu
suchen, wo wir halb elf Uhr ankamen.* Die erste Granate, die in Hartlepool nieder
fiel, traf den großen Gasbehälter, woraus bald die Flammen schlugen. Daraus wurde
der kleine Gasbehälter getroffen. Die ganze Gasfabrik litt bedeutenden Schaden. Der
Brand konnte jedoch noch gelöscht werden. Viele große Häuser wurden getroffen. Im
Ostviertel und in der Stadt wurden verschiedene Wohnungen zerstört. Ganze Häuser
reihen, die dicht bei der Küstenbatterie standen, wurden verwüstet.
In Whitby haben bedauerlicherweise die Ruinen der berühmten Abtei Schaden ge
nommen, wenn auch keinen beträchtlichen: der schöne Chor ist gänzlich unversehrt ge
blieben, dagegen hat der westliche Teil des Kirchenschiffs gelitten. Es ist bemerkenswert,
daß der erste Offizier der Küstenwache vor Gericht ausgesagt hat, sämtliche Schüsse
seien auf die Signal- und Wachstation gerichtet gewesen. Daß einige Schüsse zu weit
rechts gegangen seien, müsse einzig dem Schwanken der Schiffe zugeschrieben werden.
Der Eindruck des deutschen Flottenangriffs in London war gewaltig. Eine aus
England zurückgekehrte Deutsche gibt der „Täglichen Rundschau" eine interessante Schil
derung davon. Bis nachmittags 4 Uhr sei es den Zensurbehörden gelungen, die für
den englischen Stolz so unangenehme Nachricht zurückzuhalten. Als aber Reisende aus
dem Norden eintrafen, die ungenaue und natürlich übertriebene Nachrichten brachten,
habe man es für angebracht gehalten, den Vorfall nicht weiter zu verheimlichen. So
erschienen denn um 4 Uhr die üblichen Zeitungsanschläge, die mit Riesenbuchstaben einen
deutschen Angriff auf die englische Küste verkündeten. Die ahnungslosen Menschenmassen
auf der Oxford-Street waren wie gelähmt vor Entsetzen. Es war ihnen unbegreiflich,