Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

196 Die Türkei und der Heilige Krieg bis zu den Dardanellen-Kämpfen 
das Volk. Der oberste geistliche Chef, der Scheich ül Islam, hatte den Fetwa Emmi mit 
der Aufstellung der fünf Fragen beauftragt, von deren Beantwortung die Erklärung des 
Heiligen Krieges, des „Dschihad", abhängen sollte. Nun stehen sie, nach Zehntausenden 
zu zählen, im Hofe der Moschee Mohammeds des Eroberers: ein unübersehbares Meer 
von Menschen und Fahnen. Von allen Seiten her strömen die Menschenmassen; die 
dumpfen Schläge der Daul, der Pauke, die hellen Töne der Klarinette erschallen in allen 
Vierteln der Millionenstadt. Und alle ziehen sie hinaus nach Fathi. 
Dies ist ein Tag des Islams. Die Binde des türkischen Flottenvereines um den 
Arm geheftet, stehe ich auf der Freitreppe der Moschee, mitten unter den Abord 
nungen der vaterländischen Vereine. Hinter mir Wehen zwei mächtige Fahnen und 
grüßen hinunter in das Menschenmeer: die österreichisch-ungarische und die deutsche 
Kriegsflagge. 
Immer mehr Menschen drängen sich heran. Dann kommt eine Bewegung in die 
Menge: der alte Schefik Bey, der Vorsitzende des Flottenvereines, geht die Freitreppe 
herauf zur Loggia der Moschee. 
Vier Hofwagen fahren vor. Ihnen entsteigt, eskortiert von einer Feuerwehrabteilung, 
die Abordnung des Scheich ül Islam. Ein Priester mit goldener Brille betritt die 
Rednertribüne. In seinen Händen zittert ein Blatt. Atemlos lauscht das Volk. Der 
Geistliche liest Frage und Antwort des Fetwas, und jede dieser Fragen wird mit dem 
„Ja" des Scheich ül Jflam beantwortet. 
„Wenn sich mehrere Feinde gegen den Islam vereinigen, wenn Länder des Islams 
geplündert, die muselmanische Bevölkerung niedergemetzelt und gefangen genommen 
wird und wenn in diesem Fall der Padischah des Islams nach den heiligen Lehren des 
Koran den Heiligen Krieg verkündet, ist dieser Krieg Pflicht aller Muselmanen, aller 
jungen und alten muselmanischen Fußsoldaten und Reiter, und müssen sich alle 
islamitischen Länder mit Gut und Blut beeifern, den Dschihad (Glaubenskrieg) zu 
führen?" — Antwort: „Ja." 
Schon vor der nächsten Frage macht sich Erregung in der Menge bemerkbar. Sie 
will die von Polizisten gebildete Kette durchbrechen. Jeder einzelne will den Wortlaut 
der Frage hören: „... Ist es nun heilige Pflicht, daß alle Mohammedaner, die sich unter 
der Regierung dieser feindlichen Mächte und der mit ihnen verbündeten Staaten be 
finden, gegen alle diese Mächte und Staaten den Heiligen Krieg erklären und in den 
Kampf ziehen?" 
Das Volk wartet gespannt auf die Antwort. Der Geistliche liest sie: „Ja." Und nun 
kommt es Schlag auf Schlag: 
„Sind diejenigen, die sich dem Heiligen Kriege nicht anschließen — Gott möge ver 
hüten, daß es solche gebe — nicht wert des Zornes Gottes und der höchsten ewigen 
Strafen?" Antwort: „Sie find es." 
Und dann die Frage: „Wenn Regierungen der feindlichen Staaten ihre mohamme 
danischen Untertanen durch Drohungen einschüchtern, selbst wenn sie sagen, sie wollen 
ihre Frauen und Kinder töten — ist es nicht doch die höchste Sünde für die Moham 
medaner, sich dem Kriege gegen den Islam anzuschließen, und werden sie nicht als 
Mörder den größten Höllenqualen anheimfallen?" 
Eine kurze Pause tritt ein. Der Geistliche holt Atem. Dann spricht er im Namen 
des Scheich ül Islam: „Ja, sie werden." 
Jetzt kommt die letzte Frage: „Da es dem hohen Kalifat Schaden bringt, wenn die 
mohammedanischen Untertanen Englands, Frankreichs und Rußlands und der mit 
ihnen verbundenen Staaten gegen das mit dem Kalifat verbundene Deutschland und 
Oesterreich-Ungarn zu Felde ziehen, ist dieses nicht als die allergrößte Sünde zu be
	        
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