Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

Die Kämpfe in Ostpreußen 
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dürfen, wie das Jungvolk mit Todesverachtung über alle natürlichen und künstlichen 
Hindernisse hinweg die feindlichen Stellungen erstürmte, den Kugeln der sibirischen 
Scharfschützen entgegen, die schon aus 1200 Meter Entfernung gut schossen. Sie waren 
unterwegs Zeuge gewesen der unerhörten Anstrengungen, mit denen unsere schwersten 
Kaliber auf den hoch verschneiten Straßen vorwärts gebracht wurden, wie unsere 
prachtvolle leichte und schwere Artillerie von Stellung zu Stellung vorrückte, ohne 
Deckung abprotzte und dem fliehenden Feind ihre 10-, 15- und 20-Zentimeter-Granaten 
nachfeuerte..." 
Vom Nachtkampf um Wirballen, der am 10. Februar 1915 tobte (vgl. 
S. 124), erzählt Rudolf von Koschützki im „Stuttgarter Neuen Tagblatt": „...Eine 
kurze Rast, dann weiter, immer weiter. Trotz der eisigen Kälte läuft der Schweiß unter 
dem Helm hervor. Der Rücken ist wie gelähmt, der Kopf denkt nicht mehr, man versucht 
den qualvollen Zustand zu vergessen, das Gefühl auszusperren. Nur einen Fuß vor den 
andern, einen vor den andern... einmal wird es ein Ende nehmen, es hat noch immer 
alles ein Ende gefunden, Hunger, Müdigkeit, Schmerzen alles. 
Wir überschreiten die russische Grenze, die neue Nacht sinkt über das Land — nicht 
dämmergrau wie die vorige, sondern rot, feuerrot! Je weiter die Sonne unter den Hori 
zont sinkt, desto mehr rötet sich der Himmel, desto mehr brennende Ortschaften kann das 
Auge unterscheiden. Und die Augen blicken in den Flammenschein, die Gedanken be 
ginnen sich zu regen... es ist fast, als würde der Tornister ein wenig leichter, der Hun 
ger etwas weniger fühlbar..., seht mal, wie viel Dörfer brennen, wie viele, man kann 
sie fast nicht zählen." Sie zählen aber dennoch, das ganze Regiment zählt... acht, zehn, 
zwölf, fünfzehn... immer mehr... dort ist noch eins; auch da links. Und dahinter geht 
gerade ein Haus in Flammen auf. Ist das nicht in Rußland? 'Sind die Menschen denn 
verrückt geworden, daß sie sogar ihre eigenen Dörfer anzünden? Sie zählen und zählen; 
immer wieder entdecken sie einen neuen Brand. Zuletzt wissen sie's genau: vierund 
zwanzig Orte stehen in Flammen, vier davon in Rußland. Und auch das wissen sie 
zuletzt, weshalb diese russischen Dörfer brennen. Es sind Rückzugsfanale, Wegweiser für 
die Versprengten, Verwundeten, damit sie ihr Ziel nicht verfehlen... Und zwischen den 
riesigen Brandfackeln und hinter ihnen das Aufblitzen der Geschütze... ein unaufhör 
liches Krachen und Rollen hallt in die betäubten Sinne... Und immer noch marschieren, 
Schritt vor Schritt, Schritt vor Schritt... ist denn das ganze Löben nichts weiter mehr 
als marschieren? Wie lange denn schon — zwölf Stunden, vierzehn, sechzehn — acht 
zehn, bei Gott, achtzehn Stunden! Um vier ausmarschiert, jetzt ist es zehn... 
Die Spitze erreicht einen Bahndamm, ein Zug kommt langsam von rechts angerollt... 
von rechts, aus Ehdtkuhnen... Teufel, ist dort nicht der Russe? „Halt! Halt! Hund, du 
auf der Maschine!" Gleich kommt die Antwort: Zischende Dampfwolken, Blitzen, Knat 
tern, aus allen Fenstern des langen Zuges. Auch ein Maschinengewehr rattert seine 
eintönige, verhaßte Weise dazwischen. 
Schneller und schneller rollen die Wagen... Teufel, die sind uns entwischt! Plötzlich 
ist das ganze Regiment wach, die Augen werden hell... paßt auf, da rechts steht noch ein 
Zug. Rasch hin, daß er uns nicht auch fortfährt. Nein, der hat keine Lokomotive vor. 
Sonst ist er fertig zum Abfahren. Was ist darin? Liebesgaben, lauter Liebesgaben — 
so ist's recht, die sollen uns schmecken! Aber erst die Arbeit getan! 
Die Haltestelle in K i b a r t y wird besetzt. Dann der Vormarsch nach W i r b a l l e n 
fortgesetzt. Er bleibt nicht unbemerkt. Der Feind schießt Leuchtkugeln herüber, die den 
Weg mit Licht überstrahlen. „Die Adjutanten zum Divisionskommandeur!" Er ist in 
dem kleinen Gehöft drüben. Bald sind sie mit dem Befehl zurück: „Wirballen sofort an 
greifen und im Sturm nehmen!" Wir haben zwar nichts im Magen außer dem 62 Kilo
	        
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