Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

D i e Schlacht in Polen 
71 
schweigen noch. Deutlich schlägt das Hämmern der Feldbatterien an unser Ohr. Man 
hat die Eisenbahn nach Wilanow gesperrt. Ueber Mokotow hinaus darf man nicht mehr 
gehen. Die Chaussee nach Piazeszno wird für den Fuhrverkehr des Militärs freigehalten. 
Jeden Augenblick kommen Stafettenreiter angaloppiert, von oben bis unten beschmutzt, 
keuchend, in halsbrecherischen Sätzen davonjagend. Auf dem Platz vor den beiden Bahn 
höfen staut sich die schweigsame Menge, die Mienen verraten das Entsetzen. Sie steht da 
wie bei einem Brande, zu dem die Feuerwehrleute heraneilen. Man hat Füße wie Eis 
klumpen, der Kopf ist dumpf und leer. Man steht, als wartet man unter einem Haus 
eingang auf den Polizisten mit dem gefesselten Mörder. Nur allmählich sickert die Wahr 
heit durch. In der Regel versteht man nichts, genau wie im Theater eines Landes, dessen 
Sprache man nicht kennt.... 
In der Marschalkowskastraße hat man in den großen neuen Häusern in Erwartung 
des Gewehrfeuers bereits Türen und Fenster verbarrikadiert. Es geht zu wie auf den 
Schiffen, wenn vor Ausbruch des Sturmes die Luken geschlossen und die Segel eingezogen 
werden.... Vergeblich sucht man aus den Zeitungen Nachrichten zu bekommen. Die Leser 
wissen mehr als die Zeitungen. Offiziell stehen die Deutschen noch sehr weit entfernt von 
Warschau. Man könnte eine Aufklärung von den Soldaten erhalten, die nach und von dem 
Schlachtfelde ziehen. Aber es ist verboten, mit den Soldaten zu sprechen. Und wenn man 
sich erwischen läßt, so wird man als Spion verhaftet. Man erhält daher die Neuigkeiten 
auf den Straßen von dem oder jenem Freunde, in kleinen Gesellschaften. Aber auf den 
Straßen sieht man, seitdem die Aeroplane Bomben geworfen haben, noch weniger Leute. 
Die Juden sind noch immer am besten informiert. Ueberall haben sie Agenten und Kor 
respondenten. Sie stellen die einzigen in der Stadt verbliebenen Verbindungen ohne 
Draht, ohne Eisenbahn dar, nachdem man von der Außenwelt abgeschnitten ist... 
Ein streng dreinblickender Kornett gibt im Grujezer Bahnhof seinen Mannschaften das 
Zeichen zum Sammeln. Das Volk läßt sofort die Stimme sinken. „Ueberall, wo diese 
Kosakenhunde ihren Fuß hinsetzen," erzählt man sich leise, „ist es schlimmer als in der 
Hölle. In Wolozka, wo man von einem Deutschen noch nicht einmal eine Nase zu sehen 
bekommen hat, wurden alle Häuser erbrochen, geplündert, die Geldschränke gewaltsam 
geöffnet, auf die Straßen geschleudert, die Läden in Brand gesetzt. Dabei handelt es sich 
um ein russisches Dorf. Mit den Juden sangen sie an; dann verlieren sie den Kopf und 
hören bei den Polen und Russen auf. Haben sie nicht, aus Versehen, auch die Wohnung 
eines Popen geplündert?"... „Alle Ausreden sind gut, wenn es gilt, die Söhne Israels 
ein bißchen zu massakrieren..." 
Es kommen Omnibusse mit Verwundeten beladen. Auch Schlächterkarren mit der 
selben Last. Viele Verwundete kommen zu Fuß, hinkend. Sie tragen lange Bärte und 
sind ganz apathisch. Etwa 20 Soldaten transportieren das Gerippe eines Luftschiffes 
wie einen Toten auf der Schulter. Wenn die Nacht herniederfinkt, dann liegt die Stadt, 
in der Finsternis unbekannt, gespenstisch da. Die Passanten schleichen sich mit gebeugtem 
Haupte die Mauern entlang dahin. In dem nächtlichen Schweigen scheinen die uner 
müdlichen Kanonen an Energie zu gewinnen und sich zu nähern. Wollen sie denn 
niemals schlafen gehen? Wenn die Preußen kämen...! Plötzlich auf einmal... ? In 
der Gesindestube wird die Litanei gebetet. Vier Tage schon wartet man aus die Preußen. 
Man versinkt in eine förmliche Agonie und wünscht, sie kämen endlich, diese Deutschen. 
Die Furcht macht auf die Dauer mutig..." 
Als düstere Boten kommenden Unheils erscheinen bisweilen Zeppelin-Luftschiffe, 
häufiger noch Flieger, die immer wieder aus die Plätze, die militärischen Anlagen und 
die Eisenbahnlinien Warschaus Bomben werfen. „Die Einwohner von Warschau," 
schreibt Granville Fortescue nach der „Frankfurter Zeitung", „wissen längst, was solch
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.