Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

Die französische Regierung riet Serbien nicht zum Nach¬ 
geben, sondern zu versuchen, Zeit zu gewinnen, Einwände zu 
erheben und sich dem direkten Eingriff Österreich-Ungarns da¬ 
durch zu entziehen, daß es sich bereit erklärte, sich einem Schieds¬ 
gericht Europas zu unterwerfen (Gelbbuch Nr. 26). 
Grey wies den englischen Geschäftsträger in Belgrad an, der 
serbischen Regierung den Rat zu geben, „Teilnahme und Be¬ 
dauern“ darüber auszusprechen, daß serbische Beamte an dem 
Morde von Sarajevo mitschuldig seien. Sie sollte „versprechen“, 
vollste Genugtuung zu geben, aber im übrigen müsse sie so ant¬ 
worten, wie sie es im serbischen Interesse für das beste halte 
(Blaubuch Nr. 12; siehe den richtiggestellten Wortlaut bei Oman, 
S. 40). Der Geschäftsträger nahm davon Abstand, selbst diesen 
sehr bedingten Rat zum Einlenken zu erteilen, da seine Drei¬ 
verbandskollegen ohne Instruktionen waren (Blaubuch Nr. 22). 
Die österreichisch-ungarische Regierung hat die serbische 
Antwortnote als ungenügend erachtet und die diplomatischen 
Beziehungen zu Serbien noch am 25. Juli abgebrochen. Eine 
Kriegserklärung erfolgte zunächst nicht, obwohl Serbien dadurch, 
daß es bereits vor Überreichung der Antwortnote mobilisierte 
(Weißbuch Nr. 158, Rotbuch 1919, II, Nr. 26), zeigte, welches 
seine künftige Haltung sein werde. Diese Mobilmachung verriet 
auch, daß die serbische Regierung selbst in ihrer Antwort keine 
Erfüllung der österreichisch-ungarischen Forderungen sah, und 
„daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine 
Neigung bestand“. (Rotbuch 1919, II, Nr. 57.) 
Die deutsche Regierung ist nicht in der Lage gewesen, zur • 
österreichisch-ungarischen Beurteilung der serbischen Antwort 
Stellung zu nehmen, da letztere erst am 27. Juli zu ihrer Kenntnis 
gelangte (Weißbuch Nr. 271), die Gründe für die Ablehnung Wiens 
sogar erst am 29. Juli (Weißbuch Nr. 347). Berlin hat offenbar 
ein Einlenken Serbiens gar nicht erwartet und deswegen mit einer 
militärischen Aktion, die von vornherein als wahrscheinlich an¬ 
genommen worden war, gerechnet. Von diesen Gesichtspunkten 
ausgehend, ließ man deutscherseits am 25. Juli den Rat nach Wien 
gelangen, im Falle einer ablehenden Antwort Serbiens die kriege¬ 
rischen Operationen sofort zu beginnen und die Welt vor ein 
fait accompli zu stellen, um so der Einmischung dritter Mächte 
vorzubeugen (Rotbuch 1919, II, Nr. 32, Weißbuch Nr. 213). In 
ähnlichem Sinne hatte sich Tisza bereits am 24. Juli ausgesprochen 
(Rotbuch 1919, II, Nr. 21). Vom Standpunkt des Wiener und 
Berliner Kabinetts erschien es notwendig, Serbien einen Denkzettel 
zu geben, um der fortwährenden Beunruhigung ein Ende zu 
machen. Die Einmischung der Mächte brachte die Gefahr, daß
	        
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