Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

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(= 440 mitteleuropäischer Zeit) hatte auch Frankreich mobil ge¬ 
macht (Blaubuch Nr. 136), ohne daß seine Grenzen bedroht waren, 
und ohne Kenntnis von der deutschen Kriegserklärung an Rußland. 
Die Erklärung des „Zustandes drohender Kriegsgefahr“ in 
Deutschland war auch kein zwingender Grund; die entsprechende 
Gegenmaßnahme, Aufstellung des Grenzschutzes, war ja, wie oben 
(auf Seite 28) erwähnt, schon spätestens am 31. Juli getroffen. 
Hingegen bestand immerhin die Verpflichtung gemäß Artikel 2 der 
französisch-russischen Militärkonvention, denn eine Macht des 
Dreibundes, nämlich Oesterreich-Ungarn, hatte ja in Beant¬ 
wortung der russsichen Maßnahmen um 1223 nachmittags den 
Mobilmachungsbefehl erlassen. Ob freilich die Meldung des 
französischen Botschafters in Wien (Gelbbuch Nr. 115) schon in 
Paris eingetroffen sein konnte, ist zweifelhaft. Bekannt wurde die 
Tatsache der französischen Mobilmachung in Berlin erst 9® abends 
durch ein Telegramm des Militärattaches (D. Nr. 590), worin die 
Stunde der Mobilisierungsorder ungenau auf 5° (= 6° Berliner 
Zeit) angegeben ist. 
Anders liegt die Berechtigungsfrage hinsichtlich der 
Kriegserklärung an Rußland. Daß sie vom pazifisti¬ 
schen Standpunkte aus nicht verteidigt werden kann, bedarf keiner 
weiteren Ausführung. Aber auch vom realpolitischen 
wirkte sie sicher in höchstem Grade nachteilig, denn sie schob die 
formelle Schuld1 des letzten Schrittes auf Deutschland. Selbst nach 
militärischen Gesichtspunkten lag ein zwingender Grund 
nicht vor. Der auf den zwei Voraussetzungen der langsamen Mobil¬ 
machung Rußlands und des raschen Sieges über Frankreich auf¬ 
gebaute deutsche Kriegsplan forderte den schleunigen Beginn der 
Operationen im Westen, nicht aber im Osten, wo im Gegen¬ 
teil in Anbetracht der Stärkeverhältnisse ein tunlichst später Be¬ 
ginn des Kriegszustandes erwünscht war. Da man nun die 
ursprüngliche Absicht der gleichzeitigen Kriegserklärung an Frank¬ 
reich nicht ausführte, scheint mir, soweit die bisherigen Veröffent¬ 
lichungen ein Urteil zulassen, in der Kriegserklärung an Rußland 
auch in rein militärischer Beziehung ein Denkfehler vorzuliegen. 
Darüber, warum die beabsichtigte und vorbereitete Kriegs¬ 
erklärung an Frankreich nicht abgesandt wurde, geben die Akten 
keinen erschöpfenden Aufschluß. Zunächst war es wohl das Aus¬ 
bleiben einer französischen Antwort, vor deren Empfang man sich 
scheute, diesen Schritt zu unternehmen. Als sie endlich 610 eintraf, 
hatte sich folgendes ereignet: 
Um 2® nachmittags hatte Kaiser Wilhelm ein Telegramm des 
Zaren erhalten (D. Nr. 546), worin dieser, obwohl damals 
Deutschland noch gar nicht mobilisiert hatte, zugab, daß Deutsch-
	        
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