Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

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Präsident die Antwort, „Frankreich werde das tun, was seine 
Interessen geböten“, setzte aber hinzu, er sehe „seit gestern Lage 
als verändert“ an, denn nach amtlicher Mitteilung sei „der Vor¬ 
schlag Sir Edward Greys allseitiger Einstellung kriegerischer Vor¬ 
bereitungen von Rußland im Prinzip angenommen“ und Oester¬ 
reich-Ungarn habe erklärt, daß es „serbisches Territorium und 
Souveränität nicht antasten werde“. Der kurze, nur 76 Worte 
zählende, l8 nachmittags abgesandte telegraphische Bericht des 
Botschafters über diese Unterredung (Nr. 571) traf erst 610 abends 
in Berlin ein, war sonach unter Berücksichtigung der Uhrendifferenz 
sieben Stunden unterwegs, so daß mit größter Wahrscheinlichkeit 
eine absichtliche Verzögerung der Uebermittlung durch die fran¬ 
zösischen Telegraphenbehörden anzunehmen ist. 
In der erwähnten Bundesratssitzung (D. Nr. 553, 
Seite 60) hatte der Reichskanzler als Absicht der deutschen Regie¬ 
rung bekannt gegeben, den Krieg an Rußland zu erklären, „wenn 
die russische Antwort ungenügend ausfällt,“ ebenso an Frankreich, 
„wenn nicht eine absolut einwandfreie Neutralitätserklärung 
kommt“. Als nun die Fristen abgelaufen waren*), verfuhr man 
jedoch anders als angekündigt. 
Nach Petersburg ging 1252 nachmittags eine Kriegs¬ 
erklärung ab (D. Nr. 542), obwohl eine ungenügende Antwort 
nicht vorlag, sondern nur die besprochene, als Antwort über¬ 
haupt nicht angesehene, um 1° morgens abgesandte Meldung 
(D. Nr. 536). 
Nach Paris wurde die vorbereitete Kriegserklärung (Nr. 608) 
nicht abgeschickt, sondern es wurde l6 nachmittags für die Beant¬ 
wortung des „Eventualvorschlages“ — worunter die Überlassung 
der Festungen Toul und Verdun zu verstehen ist — eine weitere 
Frist von zwei Stunden, also bis 3° nachmittags gewährt 
(D. Nr. 543). Das Telegramm konnte trotz der Uhrendifferenz 
unmöglich noch rechtzeitig (l6 = 126 Pariser Zeit) in die Hände 
des Botschafters gelangen, der es denn auch erst nach 3° 
(= 4° Berliner Zeit) erhielt (D. Nr. 598). 
Um 5° nachmittags erging sodann der Mobilmachungs¬ 
befehl für Heer und Flotte in Deutschland 
(D. Nr. 554, Anmerkung 4). Die Berechtigung dieser. Maßnahme 
kann nach der seit mehr als 29 Stunden offiziell bekannten russi¬ 
schen allgemeinen Mobilmachung auch der strengste Pazifist nicht 
bestreiten. Zwanzig Minuten vorher, um 340 westeuropäischer 
*) Unter Berücksichtigung der Uhrendifferenz wäre der genaue Zeitpunkt 
für Ablauf der Fristen nach mitteleuropäischer Zeit gewesen: für 
die Anfrage in Petersburg 11« vormittags, nicht 12» mittags; für die An- 
frage in Paris 2°, nicht 1° nachmittags.
	        
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