Volltext: Johannes Bünderlin von Linz und seine Stellung zu den Wiedertäufern

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Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, das heisst, 
seitdem die scholastische Theologie dahin gelangt war, das 
Christenthum in eine Summe von Begriffen, Definitionen und 
Distinctionen aufzulösen und den Glauben als ein Fürwahrhalten 
abstracter, nicht selten der Vernunft widersprechender Lehrsätze 
zu erklären und seitdem Hand in Hand mit dieser Schultheologie 
und fast gleichen Schritt mit ihr haltend, die Missbräuche in 
Verwaltung der göttlichen Gnadenmittel und in Vergebung der 
Pfründen, sowie die Immoralität im Leben der Geistlichen über¬ 
hand genommen hatten, seitdem hat sich dem Laienthum die Frage 
aufgedrängt, wie der Widerspruch zwischen Gläubigkeit und laster¬ 
haftem Lebenswandel, zwischen der Heiligkeit des Priesteramtes 
und der Unwürdigkeit seiner Träger aufzuklären sei. 
Eine der Lösungen gieng nun stets dahin, dass nicht die 
äusseren Ceremonien und der todte Buchstabenglaube, sondern 
die fromme Gesinnung die Religion ausmache, dass die Religion 
nicht Verstandes-, sondern Herzenssache sei, und dass es der 
Verwaltung der Religion durch ein besonders geweihtes privi¬ 
legiertes Priesterthum nicht bedürfe. 
Auf diesem Standpunkte stehen fast alle Secten, welche 
seit dem Aasgange des 14. Jahrhunderts in Deutschland zur 
öffentlichen Wirksamkeit und Verbreitung gelangt sind. 
So wird uns von den Waldensern berichtet, dass sie die 
Autorität der Schrift über die der Kirche und ihrer Tradition 
erhoben und dass sie das Recht der freien Prüfung der Glaubens¬ 
lehren für jeden Laien in Anspruch nahmen. 
Als das Ziel ihrer Sectenbildung erklärten sie die Refor¬ 
mation der von der Schrift abgekommenen verweltlichten Kirche, 
sie verwarfen die Ceremonien, den Heiligendienst, die Sacramente? 
die Messe und öffentlichen Gebete, die Lehre vom Fegfeuer, sie 
untersagten ihren Mitgliedern das Schwören und verdammten die 
Verbreitung des Christenthums durch Feuer und Schwert. 
Die Verderbtheit der katholischen Geistlichkeit führte sie 
zu dem Grundsatze, dass nicht die Ordination, sondern das 
apostolische Leben das Priester- und Predigeramt verleihe. Ein
	        
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