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Als sich nun die Vertreter des Volkes von Stadt und
Land am Mittwoch den 9. Juni 1869 im Speisesaale des
Kasinos versammelten, um den Inhalt des Telegrammes
des Grafen Brandis zu erfahren und über die ganze De—
putationsangelegenheit weiter zu beraten, erschien die k. k.
Staatspolizei, und ihr Kommissär betrat den Saal, um
zuzuhören. Für den nächsten Tag, den 10. Juni, 11 Uhr
hormittags, war eine neue Zusammenkunft angesagt. Aber
schon vor dieser Stunde postierten sich Polizeiorgane in der
Nähe des Lokales und der Polizeikommissär ging in den
Saaͤl, wo die Beratung stattfinden sollte. Der Präses—
Stellvertreter des Kasinos erklärte, es sei nur eine Be—
sprechung, keine Vereinsversammlung geplant, und er müsse
daher gegen die Anwesenheit des Polizeikommissärs Pro—
test einlegen. Daraufhin schloß der Kommissär kurzweg die
Zusammenkunft und ließ das Lokal durch die Polizei
räumen. Und bald darauf wurde das katholische Kasino
von der k. k. oberösterreichischen Statthalterei gänzlich
geschlossen, der Verein aufgelöst. Statthalter war damals
seit ungefähr Jahresfrist Graf, Hohenwart v. Ger—
hachsst ein. Dieser Mann bescheinigte einige Tage darauf,
den 26. Juni 1869, die Statuten des liberal-politischen
Vereines von Oberöfterreich und als am folgenden Tage,
Sonntag den 27. Juni, der Arbeiterbildungsverein in der
Volksfeüͤhalle unter dem Wehen einer blutroten Fahne sein
Gründungsfest beging, wohnte der Statthalter der Versamm—
lung bei und „es schien ihm,“ berichtete die liberale „Wiener
Morgenpost“, „seine Zigarre vortrefflich zu ———
der rötlich gefärbten Reden und Deklamationen der Wiener
Arbeiterführer.“
Verurteilung und Begnadigung Rudigiers.
Vierzehn Tage später, Montag den 12. Juli 1869,
9 Uhr abends, wurde Bischof Rudigier in seiner Abwesen⸗
heit wegen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe,
begangen durch den Hirtenbrief vom 7. September 1868,
zum Kerker von 14 Tagen verurteilt. Inner—
halb acht Tage sollte das Urteil in Kraft treten; aber schon
lags darauf, am 13. Juli, brachte der Telegraph die Nach—
richt aus Wien, daß Se. Majestät der Kaiser mit Hand⸗
schteiben von demselben Tage die Strafe und alle Rechts—
folgen nachgesehen habe. Der Monarch hatte sofort aus
freiem und eigenstem Entschlusse von seinem Begnadigungs—
rechte Gebrauch gemacht. Die Regierung versetzte aber dem