Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Anthropologie. 
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* Ebendas. § 405. Zus. S. 151. 
Das Selbst der Individualität ist nicht bloß das einheitliche 
Wesen, welches alle Mannichfaltigkeit des Lebens und der Lebens 
richtungen in sich schließt, sondern als solches auch der herrschende 
Charakter, der die Lebenswege bereitet und führt. Dieses herrschende 
Selbst, das jedem Individuum inwohnt und dessen eigentliches Wesen 
ausmacht, am deutlichsten und interessantesten in den großen und be 
deutsamen Menschen hervortritt, könnte man mit einem stoischen Aus 
druck das ^7§pl.ov^ov, mit einem goetheschen das Dämonische nennen; 
Hegel hat es den Genius genannt und in folgenden Worten sich am 
klarsten darüber ausgesprochen. „Unter dem Genius haben wir die 
in allen Lagen und Verhältnissen des Menschen über dessen Thun und 
Schicksal entscheidende Besonderheit desselben zu verstehen. Ich bin 
nämlich ein Zwiefaches in mir, — einerseits das, als was ich mich 
nach meinem äußerlichen Leben und nach meinen allgemeinen 
Vorstellungen weiß — und andererseits das, was ich in meinem auf 
besondere Weise bestimmten Innern bin. Diese Besonderheit meines 
Innern macht mein Verhängniß aus, denn sie ist das Orakel, von 
dessen Ausspruch alle Entschließungen des Individuums abhängen, sie 
bildet das Objective, welches sich von dem Innern des Charakters 
heraus geltend macht. Daß die Umstände und Verhältnisse, in denen 
das Individuum sich befindet, dem Schicksal desselben gerade diese 
und keine andere Richtung geben, das liegt nicht bloß in ihnen, in 
ihrer Eigenthümlichkeit, noch auch bloß in der allgemeinen Natur 
des Individuums, sondern zugleich in dessen Besonderheit."' 
Die Alten haben die Genien als die Schutzgeister der Individuen 
genommen und von ihnen unterschieden, als ob sie besondere Wesen 
für sich seien. Der Genius ist das innerste Wesen des Individuums 
selbst, er ist seine Besonderheit. Das denkwürdigste Beispiel eines 
solchen Genius, einer solchen Besonderheit, welches Hegel hier nicht 
angeführt hat, ist das Dämonium des Sokrates. 
Die Wirksamkeit des Genius geschieht ohne alle Reflexion, d. h. 
reflexionslos oder unbewußt; sie geschieht ohne alles Räsonnement 
mit seinen Gründen und Folgerungen, also ohne alle Mittelglieder, 
d. h. vermittlungslos oder unmittelbar. Diese Art der Wirksam 
keit nennt Hegel magisch und den Genius deshalb „die fühlende 
Seele in ihrer Unmittelbarkeit". Ein Beispiel dieser magischen
	        
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