Anthropologie.
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1 Ebendas. S. 102 u. 103. — 2 Ebendas. § 397. S. 103.
Dieses der Welt und der Wirklichkeit Absterben charakterisirt das
Greisenalter, das gegensatzlose Verhältniß zwischen dem Individuum
und der Gattung. Die Masse der Einzelnheiten und willkürlichen Be
stimmungen, wie z. B. Namen, womit das praktische Leben erfüllt ist,
werden vergessen; der allgemeine, wesentliche und nothwendige Inhalt
des Lebens und der Welt wird behalten. Es ist in der Ordnung, daß
man im letzten Lebensalter den Ballast los wird und die wahren Güter
in sich trägt: darin besteht sowohl die Gedüchtnißschwäche als die Weis
heit des Greisenalters. „So schließt sich der Verlauf der Lebensalter
des Menschen zu einer durch den Begriff bestimmten Totalität von
Veränderungen ab, die durch den Proceß der Gattung mit der Einzeln-
heit hervorgebracht werden." 1
Der menschliche Geist als natürliche Seele hat nicht bloß eine
Reihe natürlicher und verschiedener Qualitäten in fortschreitender Be-
sonderung an sich, durchläuft nicht bloß die natürlichen Veränderungen
der Lebensalter in fortschreitender Verallgemeinerung, sondern unter
liegt auch dem reellen Gegensatz der Individuen innerhalb der Gattung,
nämlich dem Geschlechtsverhältniß, vermöge dessen das Individuum
„sich in einem andern Individuum sucht und findet". Das Geschlechts
verhältniß durchläuft auch eine Entwicklung, die auf normalem Wege
zur Gründung der Ehe und Familie führt, worin es seine geistige und
sittliche Bedeutung und Bestimmung erlangt?
3. Schlaf und Wachen.
Die natürliche Seele als Individuum ist sowohl mit sich identisch
als auch von sich unterschieden. Ihre Unterschiede sind jene natürlichen
Qualitäten, die Lebensalter, die Geschlechtsdifferenz; das Seelenleben
in seiner Identität niit sich („Ununterschiedenheit") und in seiner Unter-
schiedenheit von sich erscheint in den beiden entgegengesetzten Zuständen,
die beständig miteinander wechseln und ineinander übergehen, des
Schlafens und Wachens. Im Lichte des Tages werden die Dinge
manifestirt und unterschieden, das Dunkel der Nacht verhüllt die Unter
schiede: daher entsprechen Schlaf und Wachen normalerweise dem physi
kalischen Wechsel von Nacht und Tag. Der französische Physiologe
Bichat hat im thierisch-menschlichen Organismus das animalische und
organische Leben unterschieden: jenes ist das nach außen gerichtete,
thätige, unterscheidende Leben der Bewegung und Empfindung, der