Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

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Die Philosophie der Religion. 
- Ebendas. S. 103—109. — - Ebendas. S. 123-127. 
Nestor: „Das ist Thetis, das sind die Klagen der Mutter um den 
Sohn!" Wie Achill seinen Zorn mäßigt, sagt Homer, daß ihm Pallas, 
die Göttin der Besonnenheit, erschienen sei. Kalchas erklärt die Pest 
im Lager der Griechen durch die Pfeile des erzürnten Apollon. Auf 
diese Weise haben, wie Herodot sagt, Homer und Hesiod den Griechen 
ihre Götter gemacht, nicht gelehrt, sondern gedichtet, nicht shstematisirt, 
sondern erzählt, und diese Erzählungen haben sich, wie es die Umstände 
der Zeiten und Ortschaften mit sich gebracht, vervielfältigt, gestaltet 
und umgestaltet; manche, wie die vielen Liebschaften des Zeus, wurzeln 
in alten Naturanschauungen. 1 
Alle Mächte, welche das menschliche Gemüth bewegen, sind in der 
griechischen Phantasie Götter geworden und in idealen Menschen 
gestalten verkörpert. „Das griechische Volk ist daher das menschlichste 
aller Völker: alles Menschliche ist affirmativ berechtigt, entwickelt 
und es ist Maaß darin. Diese Religion ist überhaupt eine Religion 
der Menschlichkeit, d. h. der concrete Mensch ist nach dem, was er 
ist, nach seinen Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Gewohnheiten, 
nach seinen sittlichen und politischen Bestimmungen, nach allem, was 
darin Werth hat und wesentlich ist, sich gegenwärtig in seinen 
Göttern. 
Wie die Griechen vermöge ihrer Religion das menschlichste aller 
Völker sind, so sind sie vermöge ihrer Kunst das idealste. Vor den 
Griechen hat es keine Ideale und keine Idealität gegeben. Ihre Götter 
wollen den Menschen nicht bloß innerlich in der Vorstellung gegen 
wärtig sein, sondern auch äußerlich in voller Körperlichkeit und in 
voller Anschauung: darum muß aus dem Zeus des Homer der Zeus 
des Phidias hervorgehen. 
In der Anschauung, Anordnung und Verehrung dieser Götter 
besteht der Cultus der Griechen als Gesinnung, Dienst und Versöhnung. 
Die Gesinnung, womit die beständige Gegenwart der göttlichen Mächte, 
die innere und äußere, erkannt und empfunden wird, kann keine andere 
sein als die absolute Gemüthsheiterkeit, die auch durch die Vor 
stellung des Schicksals, jener gestaltlosen Nothwendigkeit, welche ver 
nichtend über den Göttern und Menschen schwebt, keineswegs getrübt wird; 
man weiß, daß es so ist und sein muß, und giebt sich mit diesem Be 
wußtsein der Nothwendigkeit zufrieden. Die Trauer über ein schweres
	        
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