Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

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Die Philosophie der Religion 
* Ebendas. S. 366—378 (S. 369). 
Alle Dinge sind Erscheinungen des Meinen, ohne eigenen inneren 
Bestand und Zusammenhang, ohne die Realität und Prosa der Wirk 
lichkeit; die Grundanschauung der indischen Religion ist sowohl pan- 
theistisch als idealistisch; alles wird anthropomorphisirt und als 
Jnearnation vergöttert, womit die mythologische Dichtung Hand in 
Hand geht und sich ins Grenzenlose erstreckt; alle Erscheinungen werden 
Producte der Einbildungskraft: darum hat Hegel die indische Religion 
als die Religion der Phantasie bezeichnet. 
Das höchste Thema und Ziel des indischen Cultus ist die Einheit 
des Menschen mit dem Alleinen, dem Göttlichen, dem Brahm: das 
Brahmsein und Brahmwerden. Man wird Brahm in vorüber 
gehender Weise, wenn man sich leiblich und geistig zusammenfaltet, 
in sich einkehrt und sich in die tiefste Stille der Abstraction versenkt 
bis zur Verdumpfung des Selbstbewußtseins; man wird Brahm in 
dauernder Weise auf dem Wege langwieriger, ascetischer, sinnloser, auf 
die Abtödtung alles eigenen Lebens gerichteten Anstrengungen und 
Qualen (Doga); man ist Brahm durch die Geburt, d. h. kraft der 
Kaste, als geborener Heiliger, als zweimal Geborener, d. h. als Brah- 
mane, der allen andern Menschen in unverletzlicher Heiligkeit gegen 
übersteht, jede Antastung ist das todeswürdigste Verbrechen. 1 
Verehren lassen sich nur die incarnirten Gottheiten, die mytho 
logischen, deren es viele, verschiedene, auch einander feindliche giebt: 
daher zerfällt der indische Göttercult in Secten. Dagegen die 
absolute Gottheit, das Alleine oder das höchste Wesen kann man nicht 
verehren, sondern nur sein oder werden: daher läßt sich auf dem 
Standpunkt der indischen Religion sagen, daß die Gegenstände des 
Cultus als der Gottesverehrung nur die Götter, d. h. die Götzen oder 
Idole sind, aber kein höchstes Wesen. 
Auch ist der Charakter der indischen Askese mit allen ihren lang 
wierigen Qualen und Martern keineswegs die Abbüßung, sondern 
die Abtödtung. Abgebüßt werden Verbrechen und Sünden, welche 
Gewissensqualen zur Folge haben und gesühnt sein wollen; um solche 
Voraussetzungen aber handelt es sich bei den indischen Büßern gar 
nicht: ihr Zweck ist die Abtödtung, die nichts anderes vor Augen hat 
als die Werthlosigkeit und Nichtigkeit des Daseins. „Das Leben 
erhält bloß Werth durch die Negation seiner selbst. Alles Concrete
	        
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