Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

852 Die Aesthetik oder die Philosophie der schönen Kunst. 
- Ebendas. S. 136—144. 
für die religiöse romantische Kunst abgiebt. Die absolute Wahrheit 
der Sache will geglaubt, vorgestellt, erkannt sein, wozu die Kunst durch 
die äußere Darstellung gar nichts beiträgt: sie ist insofern überflüssig. 
Das classische Ideal konnte nur durch die Kunst verwirklicht werden, 
das romantische gar nicht. Die Kunst vermag die Erlösungsgeschichte 
Christi nicht zu beglaubigen oder zu verificiren, sondern nur zu ver 
gegenwärtigen. Darin liegt ihre Bedeutung. „In dieser Rücksicht 
liefert die Kunst dem anschauenden Bewußtsein für die Erscheinung 
Gottes die specielle Gegenwart einer einzelnen wirklichen Gestalt, ein 
concretes Bild auch der äußeren Züge der Begebenheiten, in denen 
Christi Geburt, sein Leben und Leiden, Sterben, Auferstehen und Er 
hobensein zur Rechten Gottes sich ausbreitet, so daß überhaupt in der 
Kunst allein die vorübergeschwundene wirkliche Erscheinung Gottes 
sich zu einer immer erneuten Dauer wiederholt."* 
Da Christus dieser einzelne wirkliche Mensch war und das ganze 
Gewicht des Christenthums auf dieser Realität und Wirklichkeit Christi 
beruht, so kann die romantische Kunst gar nicht schlechter verfahren, 
als wenn sie den Typus des classischen Ideals auf die Gestaltung 
Christi anwendet. 
Die Passionsgeschichte, der eigentliche Wendepunkt in diesem Leben 
Gottes, das Abthun seiner einzelnen Existenz als dieses Menschen, 
das Leiden am Kreuz, die Schädelstätte des Geistes, die Pein des 
Todes, läßt sich nicht in den Formen der griechischen Schönheit dar 
stellen. Und andrerseits können die Scenen der Verspottung, Mißhand 
lung, Geißelung, Dornenkrönung, Verurtheilung, Kreuztragung, 
Kreuzigung u. s. f. nicht dargestellt werden, ohne die gottesfeindliche 
Gesinnung, Barbarei, Rohheit, Grausamkeit, Wuth, mit einem Wort 
die Häßlichkeit und das Unschöne in allen seinen Formen, dieses Gegen 
theil der classischen Schönheit, auch zum Ausdruck zu bringen. 
Dagegen bietet die heilige Familie ein Motiv und Object idealer 
Schönheit von einziger, unvergleichlicher Art: die Liebe der Maria, 
die Mutterliebe, die selige Mutterliebe und nur der einen Mutter, 
die ursprünglich in diesem Glück ist. Dieses Bild ist das romantische 
Ideal. Die Mutterliebe der Maria muß nothwendig in die Kunst 
eintreten, wenn in der Darstellung dieses Kreises nicht das Ideal, die 
affirmativ befriedigte Versöhnung fehlen soll. „Es hat deshalb auch
	        
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