Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die Lehre vom Ideal. 
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2. Eintheilung. 
Allerdings hat die Schönheit den Charakter des Scheins und des 
Schemens, der aber, wie die Logik gelehrt hat, zum Wesen der Dinge 
gehört und darum nicht ironisch zu nehmen und in den Schein der 
Ironie zu verflüchtigen ist. Die Schönheit geht aus dem Wesen der 
Dinge hervor, aus der Identität des Geistes und der Natur; die aus 
dem Geist geborene und wiedergeborene Schönheit ist das Kunst 
schöne oder das Ideal. 
Wie die Weltgeschichte der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit 
ist, auf welche sich alle Schönheit gründet, so ist sie auch der Fort 
schritt rm Bewußtsein des Ideals oder des Kunstbewußtseins. Die 
Entwicklungsstufen des Ideals oder des Kunstbewußtseins nennt Hegel 
die Kunstformen, deren er drei Hanptformen unterscheidet, ent 
sprechend der orientalischen, griechisch-römischen und christlich-germani 
schen Welt: die orientalische, griechische und christliche Kunstform. Die 
beiden Elemente des Ideals sind die Idee und die Erscheinung. Das 
Verhältniß der Idee zur Erscheinung ist ein dreifaches: 1. die Idee 
ist unbestimmt und sucht in der Erscheinung sich zu verbildlichen: die 
Erscheinung ist bedeutsam, die Kunstform daher symbolisch; 2. die 
Idee ist bestimmt, sie verkörpert sich vollkommen und geht ohne Rest 
in die Erscheinung auf, sie wird Mensch: Inhalt und Form sind 
identisch, die Kunstform ist classisch; 3. die Idee ist geistig und ver 
geistigt sich im Innern der Menschen, in der Empfindung und im 
Gemüth: die Kunstform ist romantisch. Nun leuchtet sogleich ein, 
daß die symbolische Kunstform dem Bewußtsein der orientalischen Welt 
entspricht, die classische dem der griechisch-römischen, die romantische dem 
der christlich-germanischen Welt. Vortrefflich sagt Hegel von der Er 
scheinung des Ideals in der menschlichen Gestalt, dem Typus der 
classischen Kunstform: „Dies Personificiren und Vermenschlichen hat 
man zwar häufig als eine Degradation des Geistigen verläumdet, die 
Kunst aber, insofern sie das Geistige in sinnlicher Weise zur Anschauung 
zu bringen hat, muß zu dieser Vermenschlichung fortgehen, da der Geist 
nur in seinem Leibe in gemäßer Art sinnlich erscheint. Die Seelen 
wanderung ist in dieser Beziehung eine abstracte Vorstellung, und die 
Physiologie müßte es zu einem ihrer Grundsätze machen, daß die 
Lebendigkeit nothwendig in ihrer Entwicklung zur Gestalt des Menschen 
fortzugehen habe, als der einzig für den Geist gemäßen sinnlichen Er 
scheinung."^ 
- Ebendas. S. 91—106. (S. 101 u. 102.)
	        
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