Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die griechische Welt. 
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nach geistloser Gleichheit, nach einer gleichen Vertheilung des Grund 
besitzes, die aber in Folge des Erbrechts der Töchter sich sehr bald in 
ihr völliges Gegentheil verkehren mußte. Die Individuen wurden hier 
dergestalt verstaatlicht, daß sie, für sich genommen, roh, ungebildet, 
unedel blieben; weshalb nach dem Untergange des Staats das Ver 
derben in Sparta weit widerwärtiger auftrat als in Athen: es zeigte 
sich als Privatverderben in der Gestalt habgieriger und lasterhafter 
Charaktere. 
Die Blüthe Griechenlands war kurz und trug den Keim des Unter 
gangs in sich: von den persischen Kriegen bis zum peloponnesischen 
Kriege (492—431). Aus der Eifersucht zwischen Athen und Sparta 
und dem beiderseitigen Streben nach der griechischen Hegemonie folgte 
der peloponnesische Krieg, die Geschichte dieses Krieges hat Thukydides 
geschrieben; dieses unsterbliche Werk ist der absolute Gewinn, welchen 
die Menschheit davon gehabt hat. Die schöne Individualität als 
politisches Kunstwerk (jtö)a?) war ohnmächtig. Die griechische Klein 
staaterei, das Streben der Einzelstaaten nach Abrundung und Ab 
sonderung war zugleich die Unfähigkeit zur Vereinigung und Gemein 
schaft, zur Bildung eines starken hellenischen Föderativstaates, welcher 
Griechenland hätte erhalten können. Die griechische Freiheit war so 
beschaffen, daß ihr Charakter auch ihr Untergang war: sie mußte sich 
selbst zerstören. Im Innern der Staaten herrschten die Factionen, 
nach außen die Kriege. 
Die Folge des peloponnesischen Krieges war die Hegemonie Spartas, 
welche dieser Staat dazu mißbraucht hat, Griechenland nach außen und 
innen zu verrathen; nach innen durch die Aufhebung der Demokratie 
und die Einführung oligarchischer Verfassungen, nach außen, worin der 
Hauptverrath bestand, durch den antalkidischen Frieden, welcher die 
griechischen Städte Kleinasiens den Persern preisgab. 
Der freien Individualität des griechischen Geistes lag die Inner 
lichkeit nahe, und als die schöne Demokratie Athens zu ihrer vollen 
Entwicklung gelangt war, mußte sie durchbrechen und für sich frei 
werden. Die Sophisten erklärten, daß der Mensch das Maß aller 
Dinge sei, wodurch alle objective Wahrheit zu einer Sache des indi 
viduellen Gefühls und seiner Werthschätzung gemacht wurde. An die 
Stelle der schönen Individualität trat die denkende Subjectivität. 
Sokrates erschien und erfand die Moral, nämlich die Forderung, daß 
man nicht nach Gewohnheit und Sitte, sondern aus eigener Prüfung und
	        
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