Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

762 Die Philosophie der Geschichte. 
das Volk verhielt sich zu den Königen, wie der Chor in der Tragödie 
zn den Helden. 
Die natürliche Individualität zur freien und eben dadurch zur 
schönen zu entwickeln: in dieser Gestaltung der schönen Indivi 
dualität besteht die That und das Thema des griechischen Geistes. 
Der Geist wird zweimal geboren: aus der Natur und zur Freiheit. 
Aus der Natur: dies ist die erste Geburt; zur Freiheit, d. h. zur Be 
freiung von der Natur und der Naturmacht: dies ist die zweite. Der 
Gang der Freiheit schreitet fort bis in die innersten Tiefen des Geistes 
und der Wahrheit. So weit reicht die griechische Freiheit nicht: sie 
reicht nur bis zur Schönheit. Sobald dieses Ziel im vollsten Sinne 
des Wortes erreicht ist, hat der griechische Geist seine Aufgabe gelöst. 
Sobald dieses Ziel, wie cs nicht anders sein kann, überschritten wird 
aui dem Wege in die Tiefen der Innerlichkeit, ist der griechische Geist 
schon in seinem Untergange und seiner Selbstzerstörung begriffen. 
Was dieser Geist vorfindet als ein durch Natur oder Ueberlieferung 
ihm gegebenes Material, das wird von ihm aufgenommen, empfange» 
und geformt, gestaltet und umgestaltet, bis er seine Form, die der 
Schönheit, in den Stoff hineingebildet hat. Der griechische Geist ist 
der plastische Künstler, der den Stein zum Kunstwerke umbildet, er 
ist dieser umbildende Bildner und Schöpfer, der in seinen Werken heiter 
und frei und zugleich davon erfüllt und abhängig ist. Man möge 
dem griechischen Geist keine falsche und überspannte Selbständigkeit zu 
schreiben, als ob er von außen etwas zu empfangen nicht nöthig ge 
habt und seine Gebilde gleichsam aus Nichts geschaffen habe: er hat 
mit Lust empfangen von überall her, von der Natur, wie von der 
Tradition, aber aus dem Empfangenen hat er das Geistige bereitet 
und nicht geruht, bis er die schöne Individualität herausgestaltet hatte? 
Diese steht im Mittelpunkte des griechischen Charakters. Von 
hier strahlt die Schönheit des griechischen Lebens aus und entfaltet sich 
in einem dreifachen Kunstgebilde, welches Hegel als das subjective, das 
objective und das politische Kunstwerk bezeichnet. Der Gegenstand des 
subjectiven ist der Mensch, der des objectiven die Religion oder die 
Götterwelt, der des politischen ist der Staat. 
Die Schönheit des wirklichen Menschen besteht darin, daß er die 
Natur beherrscht durch seine Werkzeuge, daß er ihre kostbaren Stoffe 
- Ebendas. S. 275-293.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.