Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

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Die Philosophie der Geschichte. 
und der Zeitfolge der ägyptischen Dynastien. Da er aber selbst den 
allerältesten König Menes als den Gründer von Memphis nennt, so 
hätte er nicht sagen dürfen, daß die allerältesten Könige in Theben 
ihren Sitz gehabt, und der Gang der ägyptischen Geschichte gleich im 
Beginn von Süden nach Norden, von Theben nach Memphis, dann 
nach Sais gerichtet war; und da er (nach Champollion) den Sesostris 
gleichsetzt Ramses dem Großen, so hätte er die Erbauer der Pyramiden 
bei Memphis, Cheops, Chephren und Mykerinos nicht jenem folgen 
lassen dürfen. 1 
Hegel sieht in dem ägyptischen Geist ein Räthsel, das dieser sich 
selbst gewesen sei, und welches er als sein eigener Werkmeister in seiner 
Bilderschrift (Hieroglyphen), seinem Thiercultus, seiner Religion und 
Götterlehre, seinen riesenhaften Bauwerken, insbesondere in dem räthsel- 
haften Gebilde der Sphinx dargestellt, aber nicht gelöst habe. Auch 
in dem Thierleben selbst haben die Acgypter das darin Verborgene, 
Räthselhafte und Unbegreifliche verehrt. 
Das Grundthema der ägyptischen Religion und Mythologie ist 
Aegypten in dem geschlossenen Naturlauf seiner eigenthümlichen und 
regelmäßigen Schicksale, bedingt durch den Gegensatz zwischen dem Lande, 
welches der Nil durchströmt, überschwemmt und befruchtet, und dem 
verzehrenden Eluthhauch der Wüste, die es von Osten und Westen un>- 
giebt; der Stand des Nil ist bedingt durch den Stand der Sonne: 
regelmäßig gegen Ende Juli beginnt sein Wachsthum, es folgt die 
Ueberschwemmung des Landes, die Zertheilung in die Kanäle; regel 
mäßig im Wintersolstitium ist der Nil am kleinsten, regelmäßig im 
Frühling ist Aegypten ein Garten, so wie der arabische Feldherr nach 
der Eroberung an den Chalifen Omar schrieb: „Aegypten ist zuerst ein 
Staubmeer. dann ein Wassermeer, zuletzt ein Blumenmeer"? 
Im Wintersolstitium, wann der Nil und die Sonne am niedrigsten 
stehen, wird Osiris geboren, dann wird er von Typhon, seinem feind 
lichen Bruder, dem Princip des Streites und aller Disharmonie, zerrissen 
und getödtet, der Trauergesang (Maneros) um den gestorbenen Gott 
hebt an, Isis, die Göttin der Liebe und aller Harmonie, die empfäng 
liche Mutter Erde sammelt die Glieder des Osiris, und der Gott wird 
von neuem belebt: die Geburt und Wiedergeburt des Osiris, des 
1 Ebendas. Aegypten. S. 242—253. Da Hegel die äthiopische Dynastie 
nach Mykerinos folgen läßt, so verstehe ich „Nach Sesostris" (S. 247) auch von 
der Zeitfolge. — 2 Ebendas. S. 253 flgd.
	        
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