Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

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Die Philosophie der Geschichte. 
i Ebendas. S. 199. Vgl. oben S. 7.39. 
Einheit in dem patriarchalisch organisirten China hinausgeschritten und 
die Besonderheit geltend gemacht werden, zunächst noch keineswegs die 
freie Besonderheit, sondern die starre, durch die Natur bestimmte und 
gefesselte: es ist nicht der Stand der Arbeit und Beschäftigung, welchen 
der freie Mensch sich wählt, sondern der angeborene und angeerbte 
Stand oder die Kaste. Die vier indischen Kasten sind: die Brah 
manen der Stand der Priester, die Kshatrihas der Stand der 
Krieger, die Waisyas der Stand der Arbeiter (Ackerbau, Industrie. 
Handel) und die Sudras der Stand der Dienenden. Was die Ge 
burt geschieden hat, soll die Willkür nicht zusammenbringen. Obwohl 
die Heirathen zwischen den Kasten nicht sein sollen, so geschehen sie 
doch, woraus Mischlingskasten hervorgehen, deren niedrigste und ver 
worfenste die Chandalas sind, denen die unreinsten Dienste obliegen. 
Die indische Mythologie läßt diese Kasten aus den Gliedern des Gottes 
Brahma entstehen: aus dem Munde die Priester, aus den Armen die 
Krieger, aus der Hüfte die Arbeiter, aus den Füßen die dienende 
Classe. Mit dem ersten Freiwerden der Besonderheit, welche in den 
indischen Kasten zu Tage tritt, ist durch die Unterworfenheit der niederen 
zugleich die entwürdigendste Knechtschaft und schlimmste Art der Tyrannei 
verbunden. Wo aber der menschliche Verkehr durch solche unübersteig- 
liche Schranken zerklüftet ist, da giebt es keine menschliche Gesellschaft, 
also auch keinen Staat, denn die Gesellschaft ist das Material, aus 
dem sich der Staat formt; also auch keine Geschichte, denn der Staat 
ist recht eigentlich das Subject, welches sich in der Geschichte entwickelt. 
Die Inder sind ein Volk, aber kein Staat; darum fehlt ihnen auch 
alles verständige Zeit- und Weltbewußtsein. „Weil die Inder keine 
Geschichte als Historie haben, um deswillen haben sie keine Geschichte 
als Thaten (ros Zsstue), d. i. keine Herausbildung zu einem wahrhaft 
politischen Zustande." 1 
2. Der indische Idealismus und Pantheismus. 
Die wirkliche Welt erscheint ihnen als eine Welt der Täuschung 
und des Scheins (Maja), als ein Traum ohne allen inneren Bestand, 
in welchem alle Gestalten zerfließen und verschweben, eine in die andere 
übergeht, wie man es im träumenden Schlafe erlebt, und im Grunde 
Alles Eines ist. Dieses All-Eine ist der Gipfel ihrer Religion und 
Weisheit: das Brahma, das reine absolute Sein ohne alle Sinnlichkeit,
	        
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