Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

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Die Wissenschaft vom objectiven Geist. 
welcher alles davon abhing, daß die privilegirten Persönlichkeiten in 
der Verwaltung der großen Aemter nicht ihren Gewinn suchten, sondern 
ihre Ehre, d. i. die große Vorstellung in der Meinung der Welt. 
Die Feudalmonarchie hatte noch keine Glieder, sondern nur Theile, 
weshalb sie mehr ein Aggregat als ein Organismus war und noch 
der Einheit des Staatswillens ermangelte, die den Charakter der 
inneren Souverainetät ausmacht. Diese Souverainetät fehlte nicht bloß 
dem Monarchen an der Spitze seiner Vasallen von größerer oder ge 
ringerer Selbständigkeit, sondern auch dem Staate selbst, diesem Complex 
von mehr oder weniger mächtigen Gewalthabern. 
Der verfassungsmäßige Staat ist in allen seinen Theilen, Ständen 
und Corporationen, Gemeinden und Districten, vollkonimen gegliedert, 
weshalb diese Theile nicht Theile, sondern Organe sind, und er selbst 
ein lebendiges, darum individuelles Ganzes, eine Individualität, eine 
untheilbare Einheit, von welcher unabhängig nichts innerhalb derselben 
ist und besteht, so wenig als ein Glied unabhängig vom lebendigen 
Körper sein kann, wie z. B. der Magen unabhängig von den übrigen 
Gliedern oder umgekehrt. ^ 
In dieser untheilbaren, machtvollkommenen Einheit besteht die 
Souverainetät des Staats sowohl nach Innen wie nach Außen. Diese 
untheilbare Einheit, welche Hegel gern die Idealität des Staates nennt, 
ist eine Individualität, ein Selbst, eine Person, ein Selbstbewußtsein, 
ein Ich: das Ich des Staates, der Staat als Ich, als diese einzelne, 
leibhaftige Person. Denn das Ich ist zugleich das Einzelnste und das 
Allgemeinste. Die Souverainetät des Staats ist der Souverain, in 
dem sich die fürstliche Gewalt verkörpert. Darum ist der verfassungs 
mäßige Staat nothwendig monarchisch, und die vernünftige Monarchie 
nothwendig verfassungsmäßig oder constitutionell. Dies ist der Unter 
schied zwischen dem mittelalterlichen und dem modernen Staat, zwischen 
der feudalen und constitutionellen Monarchie. Den Staaten des Alter 
thums fehlte das Ich, das Selbstbewußtsein, die subjective Freiheit 
oder die freie Subjectivität, weshalb die letzten Entscheidungen jenseits 
des Willens, in den Orakeln, den Eingeweiden der Opferthiere, dem 
Fluge der Vögel u. s. f. gesucht wurden. „Dieses «Ich will» macht 
den großen Unterschied der alten und modernen Welt aus, und so 
muß es in dem großen Gebäude des Staates seine eigenthümliche 
- Ebendas. § 279. Zus. S. 363.
	        
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