Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die Sittlichkeit. 
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man in der neuesten Zeit den Völkern den Beruf zur Gesetzgebung 
abgesprochen hat, so ist dies nicht allein ein Schimpf, sondern enthält 
das Abgeschmackte, daß bei der unendlichen Menge vorhandener Gesetze 
nicht einmal den Einzelnen die Geschicklichkeit zugetraut wird, dieselben 
in ein consequentes System zu bringen, während gerade das Systema- 
tisiren, das heißt das Erheben ins Allgemeine, der unendliche Drang 
der Zeit ist." „Die Regenten, welche ihren Völkern, wenn auch nur 
eine unförmliche Sammlung, wie Justinian, noch mehr aber ein 
Landrecht, als geordnetes und bestimmtes Gesetzbuch, gegeben haben, 
sind nicht nur die größten Wohlthäter derselben geworden und mit 
Dank dafür von ihnen gepriesen worden, sondern sie haben damit einen 
großen Act der Gerechtigkeit exercirt." 
Sobald das Recht in der Form des Gesetzes existirt, wird das 
Unrecht, nämlich das gewollte Unrecht oder das Verbrechen zu einer 
gesetzwidrigen und gesellschaftsfeindlichen Handlung, wodurch der Cha 
rakter seiner Gemeinschädlichkeit und Gefährlichkeit erhöht, zugleich aber, 
so widersprechend es zu sein scheint, die Höhe seiner Strafbarkeit herab 
gesetzt und vermindert wird. Denn je fester und sicherer die Gesell 
schaft durch die gesetzliche Rechtsordnung zusammengefügt ist, um so 
unfester und isolirter erscheint das Verbrechen. Je mächtiger jene, um 
so ohnmächtiger dieses; daher der Strascodex den Zuständen der bürger 
lichen Gesellschaft entspricht und mit deren zunehmender Sicherheit sich 
mildert. ^ 
Die Anwendung und Ausübung der Gesetze geschieht durch eine 
öffentliche Macht. Diese ist das Gericht. Wie das Gesetz selbst, soll 
auch die Rechtspflege und das gerichtliche Verfahren öffentlich sein. 
Jeder Bürger hat das Recht, im Gericht zu stehen, und die Pflicht, 
sich dem Gericht zu stellen. Die öffentliche Rechtspflege ist auch der 
beste Weg, damit alle Welt die Gesetze kennen lernt. Jedes Verbrechen 
ist ein besonderer Fall, der als solcher erst durch die öffentliche An 
klage vor das Gericht zu bringen, dann durch das Gericht zu ent 
scheiden, endlich dem Gesetze unterzuordnen und zu bestrafen ist. Um 
den besonderen Fall in seiner unmittelbaren Einzelnheit festzustellen, 
nämlich die That und den Thäter, was so viel heißt, als den An 
geklagten für schuldig oder nichtschuldig erkennen: dazu bedarf 
es nicht juristischer, in den Gesetzen bewanderter Richter, sondern das 
* Ebendas. § 211. S. 268. § 215. S. 272. — 2 Ebendas. § 218, S. 276-278. 
Fischer, Gesch. d. Philos. VIII. N. A. 
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