Volltext: Der Krieg der versäumten Gelegenheiten

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Schliessen geführt wurde, d. h., wenn wir nach dem Durchbruch durch 
Belgien den rechten Flügel mit allen verfügbaren Truppen verstärkten und 
verlängerten. Daß dies nicht geschah, daß im Gegenteil vom rechten Flügel 
Truppen für den östlichen Kriegsschauplatz fortgenommen wurden, ist un¬ 
zweifelhaft ein Versagen der ersten Obersten Heeresleitung. 
Trotzdem hätte der Rückschlag der Marne nicht eintreten dürfen. Daß er 
eintrat, daß die bei der 2. Armee eingetretene Krisis nicht durch energisches 
Handeln überwunden wurde, daß der Entschluß der 1. Armee, die be¬ 
stehenden Schwierigkeiten durch Angriff zu lösen, nicht unterstützt wurde, 
sondern daß durch die unselige Entsendung des Oberstleutnants Hentsch mit 
seinem unklaren mündlichen Auftrag und seinen ungeklärten Vollmachten 
das den Franzosen unverständliche Wunder der Marne möglich wurde, ist 
ein weiteres Versagen der Obersten Heeresleitung Moltke. 
Nach dem Rückschlag der Marne konnte man noch einmal versuchen, die 
Front, die im Schützengrabenkrieg zu erstarren begann, erneut vorwärts 
zu reißen. Es wäre dies möglich gewesen durch einen ganzen Entschluß, 
durch Abtransport von mindestens 10 bis 12 Armeekorps vom linken 
nach dem rechten Flügel und Ansetzen eines einheitlichen großen Angriffs 
auf diesen. Daß diese von General Gröner seinerzeit angeregte Idee 
nicht zur Ausführung kam, ist Verschulden der zweiten Obersten Heeres¬ 
leitung. 
Im Westen war nunmehr der Krieg nicht mehr zu gewinnen, man mußte 
sich entschließen, die Entscheidung im Osten zu suchen, wo sich die Ereignisse 
inzwischen derart entwickelt hatten, daß eine solche Entscheidung möglich 
war. ES boten sich im Spätherbst 1914 und im Sommer 1919 zwei Ge¬ 
legenheiten, das russische Heer entscheidend zu schlagen. Beide Gelegenheiten 
hat General v. Falkenhapn vorübergehen lassen. Auf sein Schuldkonto 
fallen außerdem die Verdunoffensive, die mangelhafte Führung des serbi- 
schen Feldzuges, die Nichteinnahme Salonikis und die Ablehnung einer 
gemeinschaftlichen italienischen Offensive. Nachdem die Gelegenheiten, Ru߬ 
land so entscheidend zu schlagen, daß es Frieden machen mußte, nicht benutzt 
worden waren, mußte man sich darüber klar werden, daß Deutschland nach 
menschlichem Ermeffen den Krieg nicht mehr gewinnen konnte. Alle An- 
strengungen der Reichsleitung mußten sich von diesem Moment an darauf 
richten, einen Frieden auf dem 8taws quo ante zu bekommen, die An¬ 
strengungen der Obersten Heeresleitung darauf, keinen Rückschlag zu haben 
und die vom Heere errungenen Gebiete festzuhalten. Ich glaube, daß ein
	        
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