Volltext: Jüdische Herkunft und Literaturwissenschaft

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Herkunft vorliegt. Doch hat dann Mischung mit der französischen Ko 
lonie in Berlin stattgefunden, die ja, wie die Juden, eine Ausnahme 
stellung in der preußischen Hauptstadt hatte. Der große Ludwig (1.784 
bis 1832), mir übrigens durchaus sympathisch, war der Sohn eines 
Berliner Seidenhändlers, und auch seine Neffen Karl August, Eduard 
und Emil hatten einen Kaufmann zum Vater. Eduard Devrient (1801 
bis 1877), der für die deutsche Literaturgeschichte am meisten in Betracht 
kommende (Lustspiele, „Geschichte der deutschen Schauspielkunst"), hei 
ratete auch eine Jüdin, eine geb. Schlesinger (die wichtige Erinnerungen 
hinterlassen hat) — bei Ehen mit Jüdinnen kann man fast immer auch 
etwas eigenes Judenblut annehmen. Sein Sohn war Otto Devrient 
(1838—1894), der ja auch literarisch eine Rolle spielte („Faust"-Be- 
arbeitung, Lutherfestspiel). — Mit den Devrients will ich dann gleich 
die ebenfalls aus Berlin stammenden Beer nennen, den großen Kompo 
nisten Giacomo Meyerbeer, richtig Jakob Liebmann Beer (1791 bis 
1864), der in der Literaturgeschichte wegen seiner „Unterstützung" Hein 
rich Heines zu nennen ist, und seinen Bruder, den frühgestorbenen 
Dichter Michael Beer (1800—1833), der schon 1819 mit seinem 
Erstlingsdrama „Klytämnestra" auf die Berliner Hofbühne kam — sein 
Vater war eben der reiche Bankier Jakob Herz Beer. Goedeke hat ihn 
(wie Ludwig Robert) sehr wohlwollend behandelt, wir können uns aber 
doch nicht verhehlen, daß auch diese edlen Juden mit ihren Werken nur 
dem Interesse ihres Volkes dienten: Beers „Paria", den Goethe leider 
sehr erhob, ist durchaus nicht „das dramatische hohe Lied eines welt 
historischen Wehs", das aller unterdrückten Völker, sondern eben nur 
das der Juden, und im „Struensee", der den Kampf der Demokratie 
mit der Aristokratie darstellen soll, werden zuletzt auch nur die jüdischen 
Interessen vertreten. Inwieweit Beer, der Freund des Ministers Eduard 
von Schenk, trotz seiner ausgesprochen liberalen Anschauungm eitler höfi 
scher Streber war, wie der Semikürschner behauptet, kann ich nicht fest 
stellen. — So ziemlich als Gegensatz Beers kann man Daniel Leß- 
mann (aus Soldin in der Neumark, 1794—1831) hinstellen, den 
Verfasser des „Wanderbuchs eines Schwermütigen", der die Freiheits 
kriege als Freiwilliger mitgemacht hatte und, von Größenwahn besessen 
— wahrscheinlich — durch Selbstmord starb: Man fand ihn, der eine 
Fußreise von Berlin nach Leipzig angetreten, bei Wittenberg erhängt. Zu
	        
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