Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Seit dem Besuche Herrn Iswolskis in Berlin hat der Konferenz¬ 
gedanke sozusagen keinen Fortschritt gemacht. Das Kabinett von 
St. Petersburg hat sich darauf beschränkt, uns die Konferenzpunkte 
ohne nähere Erörterung mitzuteilen. Wir haben darauf die Ihnen be¬ 
kannte Antwort erteilt. Herr Iswolski hat unsere Stellungnahme zum 
Konferenzprogramm mit einer seinen persönlichen Gefühlen ange¬ 
paßten sophistischen und sehr zugespitzten Argumentation beantwortet. 
In seinem betreffenden Aide-mémoire, das Szôgyényi Ihnen mit unserer 
Antwort übergeben wird1), konstatiert Iswolski zunächst die Notwendig¬ 
keit eines Einvernehmens über alle Punkte des Konferenzprogrammes. 
Im unmittelbaren Anschlüsse hieran und im Widerspruche mit diesem 
Gedanken verlangt er vollkommene Diskussionsfreiheit bei der Erörte¬ 
rung der bosnischen Frage. Dieser Anspruch wird durch eine sehr 
ausführliche Berufung auf das Londoner Protokoll vom Jahre 1871 
zu erhärten gesucht. 
In Übereinstimmung mit Ihrer Auffassung habe ich es nicht für 
nötig gehalten, eine besondere Eile bei der Beantwortung des russischen 
Mémoires an den Tag zu legen. Unser Standpunkt ist unverändert 
derselbe, daß wir eine Konferenz nur dann akzeptieren können, wenn 
über alle Punkte ein vorgängiges Einvernehmen zwischen den Mächten 
hergestellt sein wird, mit anderen Worten, wenn der Erörterung im 
Schoße der Konferenz im vorhinein gewisse feste Grenzen durch Auf¬ 
stellung entsprechender Formeln gezogen werden. Ich habe es für nötig 
gefunden, Herrn Iswolski darauf aufmerksam zu machen, daß eine 
uneingeschränkte Diskussion auch für Rußland nicht 
genehm sein und jedenfalls nicht die Garantie für eine rasche und 
befriedigende Lösung der der Konferenz zugewiesenen Aufgabe bieten 
könnte. Infolge des hartnäckig gegen uns betriebenen türkischen Boy¬ 
kottes* 2) hat die frühere Niedergeschlagenheit Iswolski’s einer zuver¬ 
sichtlichen, direkt unfreundlichen Haltung uns gegenüber Platz ge¬ 
macht. Ich gebe mich daher keiner Illusion über die Aufnahme hin, 
welche mein jüngstes Memoire bei dem Leiter der auswärtigen Ange¬ 
legenheiten Rußlands finden wird, wiewohl aus Äußerungen ma߬ 
gebender Persönlichkeiten in London und Paris gefolgert werden kann, 
daß diese beiden Kabinette hinsichtlich der Sicherung des Konferenz¬ 
gedankens durch Aufstellung entsprechender, vorher zu vereinbarender 
Formeln beinahe auf demselben Standpunkte stehen wie wir. 
Mit Rücksicht auf die aufgewühlte Stimmung an der Newa und die 
ims direkt feindliche Persönlichkeit Herrn Iswolskis erschien es mir 
dringend erwünscht, mich über die Dispositionen Kaiser Nikolaus* zu 
vergewissern. Graf Berchtold erhielt den Auftrag, gelegentlich der Über¬ 
reichung des Jubiläumkreuzes gegenüber dem Kaiser die gegenwärtige 
*) Vgl. Nr. 9134, Fußnote und Nr. 9144, Fußnote. 
2) Vgl. dazu Kap. CCI. 
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