Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 971. 
Der bulgarische Gesandte Tschapratschikoff, Belgrad, 
an das Ministerium des Äußern in Sofia.*) 
Belgrad, den i4*/27* Juli I9i4- 
Jetzt, um 5 Uhr, hatte ich eine Zusammenkunft mit Paschitsch. Ich 
fragte ihn, was er mir über die Lage sagen könne. Er gab folgende 
Erklärung ab: Die Lage ist so gefährlich, daß, man von verschiedenen 
Seiten ein Mittel sucht, um den Krieg zu vermeiden. Ich habe Nach¬ 
richten, daß Österreich nicht zuerst angreifen will. Auch wir haben 
keine solche Absicht. Aus Petersburg habe ich Nachrichten, daß Rußland 
entschlossen unseren Schutz übernommen hat. Frankreich ist mit Ru߬ 
land solidarisch. Die italienische Regierung ist unzufrieden, weil das ver¬ 
bündete Wiener Kabinett sie über seinen Schritt nicht vorher unterrichtet 
hat. England wünscht sehr, daß der Krieg vermieden werde. Wenn er 
erklärt wird, wird es nicht neutral bleiben, es wird sich einmischen. Über 
die Haltung der Balkanstaaten ist Paschitsch sehr reserviert. Obwohl ich 
fragte, was für Nachrichten er aus Rumänien, Griechenland und der 
Türkei habe, wich er Gesprächen über dieses Thema aus. Betreffs Bul¬ 
gariens beauftragt er mich, folgendes zu übermitteln: „Ihre Haltung in 
dieser wichtigen Krisis hat für uns großen Wert. Zwar hat die bul¬ 
garische Regierung erklärt, sie werde für jetzt Neutralität bewahren und 
behalte sich ihre spätere Haltung vor. Aber von Ihnen wird es abhängen, 
daß es für Bulgarien gute Folgen hat. Von anderer Seite sind wir in 
Kenntnis gesetzt, daß man sich in Bulgarien rüstet, damit schon jetzt 
Komitadschis aus Strumitza in Serbien einfallen.“ 
Ich bat Paschitsch, zu erklären, was er unter den Worten „gute Folgen 
für Bulgarien“ verstehe. Er vermied es, eine Erklärung zu geben, und 
verlangte, ich solle seine Worte wörtlich übermitteln. Bezüglich der 
Komitadschis sagte ich, daß sei sicherlich eine griechische Intrige. Ob¬ 
wohl Paschitsch die Lage Serbiens unter den europäischen Mächten für 
günstig hinstellte, war sein Gesicht doch erschreckt, unruhig, welk. Mir 
gegenüber war er jedoch lieb, liebenswürdig, eine Seele von Mensch. Er 
hat Grund dazu. Er fügte hinzu, nach der gegebenen Antwort habe Ser¬ 
bien nichts anderes hinzuzufügen, keine neuen Zugeständnisse. Hätte es 
gewußt, daß es in dieser Weise unterstützt werden würde, würde es 
sich nicht einmal auf die gemachten Zugeständnisse ein¬ 
gelassen haben. Das Selbstvertrauen Paschitschs sowie auch das von 
Strandtman machte mich aufmerksam. Sollte das vielleicht Eindruck in 
Sofia machen, wenn ich es mitteilte, oder ist es tatsächlich begründet — 
ich bin ohne Informationen —, ich weiß das nicht zu sagen. 
Tschapratschikoff. 
*■) Bulgarisches Orangebuch Bd. I Nr. 218. 
559,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.