Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Wir wollten keine Politik gegen das Aufstreben der christlichen Balkan¬ 
staaten machen und haben daher — trotzdem uns der geringe Wert 
serbischer Versprechungen bekannt war — nach der Annexionskrise 
vom Jahre 1908 zugelassen, daß sich Serbien beinahe um das Dop¬ 
pelte vergrößere. 
Seitdem hat die subversive Bewegung, die in Serbien gegen die Mon¬ 
archie genährt wird, so exzessive Formen angenommen, daß die Lebens¬ 
interessen Österreich-Ungarns und selbst unsere Dynastie durch die ser¬ 
bische Wühlarbeit bedroht erscheinen. 
Wir müssen annehmen, daß das konservative, kaisertreue Rußland ein 
energisches Vorgehen unsererseits gegen diese Bedrohung aller staat¬ 
lichen Ordnung begreiflich und sogar notwendig finden wird. 
Wenn Euer Exzellenz in Ihrem Gespräch mit Herrn Sasonow an 
diesem Punkte angelangt sein werden, wird der Moment gekommen sein, 
an die Aufstellung unserer Beweggründe und Absichten den Hinweis zu 
knüpfen, daß wir — zwar wie Euer Exzellenz bereits in der Lage ge¬ 
wesen wären darzulegen — keinen territorialen Gewinn anstreben und 
auch die Souveränität des Königreiches nicht anzutasten gedächten, daß 
wir aber andererseits zur Durchsetzung unserer Forderungen bis zum 
Äußersten gehen würden. 
Daß wir bisher, soweit es an uns lag, bestrebt waren, den Frieden zu 
erhalten, den auch wir als das kostbarste Gut der Völker betrachten, 
zeige der Verlauf der letzten 4o Jahre und die geschichtliche Tatsache, 
daß unser Allergnädigster Herr Sich den glorreichen Namen eines Hüters 
des Friedens erworben hat. 
Wir würden eine Störung des europäischen Friedens schon deshalb 
auf das lebhafteste bedauern, weil wir stets der Ansicht waren, daß das 
Erstarken der Balkanstaaten zur staatlichen und politischen Selbständig¬ 
keit, unseren Beziehungen zu Rußland zum Vorteil gereichen würde, 
auch alle Möglichkeit eines Gegensatzes zwischen uns und Rußland be¬ 
seitigen würde und weil wir immer bereit waren, die großen politischen 
Interessen Rußlands bei unserer eigenen politischen Orientierung zu be¬ 
rücksichtigen. 
Eine weitere Duldung der serbischen Umtriebe würde unsere staat¬ 
liche Existenz untergraben und unseren Bestand als Großmacht, daher 
auch das europäische Gleichgewicht in Frage stellen. Wir sind aber 
überzeugt, daß es Rußlands eigenstes, von seinen friedlichen Staats¬ 
leitern wohlverstandenes Interesse sei, daß das gegenwärtige europäische, 
für den Weltfrieden so nützliche Gleichgewicht erhalten bleibe. Unsere 
Aktion gegen Serbien, in welcher Form immer sie erfolgt, ist eine durch¬ 
aus konservative und ihr Zweck die notwendige Erhaltung unserer euro¬ 
päischen Stellung. 
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