Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Für den Fall, als Rußland den Moment für die große Abrechnung 
mit den europäischen Zentralmächten bereits für gekommen erachten 
sollte und daher von vorneherein zum Krieg entschlossen wäre, erscheint 
allerdings nachstehende Instruierung Euer Exzellenz überflüssig. 
Es wäre aber immerhin denkbar, daß Rußland, nach der eventuellen 
Ablehnung unserer Forderungen durch Serbien und angesichts der sich 
für uns ergebenden Notwendigkeit eines bewaffneten Vorgehens, mit sich 
selbst zu Rate ginge und daß. es sogar gewillt sein könnte, sich von den 
kriegslustigen Elementen nicht mitreißen zu lassen. 
Dieser Situation sind die nachfolgenden Darlegungen angepaßt, die 
Euer Exzellenz im gegebenen Moment und in der Ihnen geeignet er¬ 
scheinenden Weise und nach der von Ihnen zu ermessenden Opportunität 
bei Herrn Sasonow und dem Herrn Ministerpräsidenten verwerten 
wollen: 
Ich setze im allgemeinen voraus, daß Euer Exzellenz unter den gegen¬ 
wärtigen Verhältnissen ein enges Einvernehmen mit Ihrem deutschen 
Kollegen hergestellt haben, der seitens seiner Regierung gewiß beauftragt 
worden sein dürfte, der russischen Regierung keinen Zweifel darüber zu 
lassen, daß Österreich-Ungarn im Falle eines Konfliktes mit Rußland 
nicht allein stehen würde. 
Darüber gebe ich mich keiner Illusion hin, daß es nicht leicht sein 
wird, für unseren unvermeidlich gewordenen Schritt in Belgrad bei 
Herrn Sasonow Verständnis zu finden. 
Es gibt aber ein Moment, das seinen Eindruck auf den russischen 
Minister des Äußern nicht verfehlen kann und das ist die Betonung des 
Umstandes, daß die österreichisch-ungarische Monarchie, dem von ihr 
seit Jahrzehnten festgehaltenen Grundsatz entsprechend, auch in der 
gegenwärtigen Krise und bei der bewaffneten Austragung des Gegen¬ 
satzes zu Serbien keinerlei eigennützige Motive verfolgt. 
Die Monarchie ist teritorial saturiert und trägt nach 
serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit 
Serbien uns auf gezwungen wird, so wird dies für uns kein 
Kampf um territorialen Gewinn, sondern lediglich ein 
Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein. 
Der Inhalt des Zirkularerlasses, der an sich schon beredt genug ist, 
wird in das rechte Licht gerückt durch das Dossier über die serbische 
Propaganda gegen die Monarchie und die Zusammenhänge, die zwischen 
dieser Propaganda und dem Attentat vom 28. Juni bestehen. 
Auf dieses Dossier wollen Euer Exzellenz die Aufmerksamkeit des 
Herrn russischen Ministers ganz speziell lenken und dartun, es sei eine 
in der Geschichte singuläre Erscheinung, daß eine Großmacht die 
aufrührerischen Umtriebe eines angrenzenden kleinen Staates durch 
so lange Zeit mit so beispielloser Langmut geduldet 
hätte wie Österreich-Ungarn jene Serbiens. 
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