ten. Die Zusicherung künftigen Wohlverhaltens, die die serbische Re¬
gierung damals gegeben hat, hat sie nicht eingehalten. Unter den Augen,
zum mindesten unter stillschweigender Duldung des amtlichen Serbiens,
hat die großserbische Propaganda inzwischen fortgesetzt an Ausdehnung
und Intensität zugenommen; auf ihr Konto ist das jüngste Verbrechen
zu setzen, dessen Fäden nach Belgrad führen. Es hat sich in unzwei¬
deutiger Weise kundgetan, daß es weder mit der Würde noch mit der
Selbsterhaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie vereinbar sein
würde, dem Treiben jenseits der Grenze noch länger tatenlos zuzusehen,
durch das die Sicherheit und Integrität ihrer Gebiete dauernd bedroht
wird. Bei dieser Sachlage können das Vorgehen sowie die Forderungen
der österreichisch-ungarischen Regierung nur als billig und maßvoll an¬
gesehen werden. Trotzdem schließt die Haltung, die die öffentliche
Meinung sowohl als auch die Regierung in Serbien in letzter Zeit ein¬
genommen hat, die Befürchtung nicht aus, daß die serbische Regierung
es ablehnen wird, diesen Forderungen zu entsprechen und daß sie sich
zu einer provokatorischen Handlung Österreich-Ungarn gegenüber hin¬
reißen läßt. Es würde der österreichisch-ungarischen Regierung, will
sie nicht auf ihre Stellung als Großmacht endgültig Verzicht leisten,
alsdann nichts anderes übrigbleiben, als ihre Forderungen bei der ser¬
bischen Regierung durch einen starken Druck und nötigenfalls unter der
Ergreifung militärischer Maßnahmen durchzusetzen, wobei ihr die Wahl
der Mittel überlassen bleiben muß.
Die kaiserliche Regierung möchte der Anschauung nachdrücklich Aus¬
druck verheihen1), daß es sich in der vorliegenden Frage um eine
lediglich zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zum
Austrag zu bringende Angelegenheit handele, die auf die
beiden direkt Beteiligten zu beschränken das ernste Bestreben der Mächte
sein müsse. Wir wünschen dringend die Lokalisierung des Konflikts,
weil jedes Eingreifen einer anderen Macht infolge der verschiedenen
Bündnisverpflichtungen unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen
würde.
Deutsche Botschaft, London.
In BB Nr. 9 veröffentlicht.
Siehe das deutsche Original in DD Nr. ioo* 2).
1) Zu Beginn dieses Absatzes hieß es im Erlaß an Fürst Lichnowsky: „Ew. pp. be¬
ehre ich mich zu ersuchen, sich in vorstehendem Sinne Sir E. Grey gegenüber auszu¬
sprechen und dabei insbesondere der Anschauung nachdrücklich Ausdruck zu ver¬
leihen ..Sonst ist der Wortlaut genau wie in DD Nr. ioo.
2) In der englischen Ausgabe ist noch bemerkt, daß die dort zum Abdruck gebrachte
englische Übersetzung identisch mit der Schreibmaschinenabschrift in englischer Sprache
ist, die der deutsche Botschafter auf dem Auswärtigen Amt hinterlassen hat.
V e r m e rk:
Sehr starke Unterstützung. — G. R. C. 25. Juli 191/h
Die Antwort lautet, daß infolge der äußerst scharfen österreichischen Forderungen
und der vorgeschriebenen Frist die Lokalisierung des Konflikts ungemein schwierig ge¬
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