Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

lehnenden Standpunkt der österreichisch-ungarischen Regierung gerech¬ 
net werden müsse, so sei ihm eine direkte Äußerung in dieser Beziehung 
österreichisch-ungarischerseits noch nicht zugegangen**). Er frage sich, 
was Baron Aehrenthal mit dieser Verzögerung bezwecke. Auf die 
Schwierigkeiten übergehend, welche sich aus der zu erwartenden Stel¬ 
lungnahme Österreich-Ungams und aus unserem Standpunkt zu dem 
Programmentwurf ergeben würden, meinte der Minister, man dürfe 
nicht aus dem Auge verlieren, daß bei dem gegenwärtigen vertraulichen 
und vorbereitenden Gedankenaustausch die Mächte noch keineswegs in 
die Lage kämen, offiziell zu den Hauptfragen, wegen welcher der Kon¬ 
ferenzgedanke aufgetaucht sei, Stellung zu nehmen***). Auch wenn die 
Vorberatungen für ein Konferenzprogramm zu keiner Einigung führ¬ 
ten, so würden die Kabinette doch nicht darum herumkommen, sich 
zu der Frage der durch' die Annexion Bosniens und der Herzegowina, 
beziehungsweise durch die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens er¬ 
folgten Verletzung von Artikeln des Berliner Vertrages zu äußern. Der 
Minister schien andeuten zu wollen, daß Rußland nach den gegenwärtig 
noch im Gang befindlichen vertraulichen Pourparlers offiziell Schritte 
bei den einzelnen Kabinetten tun würde, um diese zu einer offiziellen 
Stellungnahme zu der bosnischen Frage zu veranlassen. Wie sich der 
Minister die weitere Entwicklung der Dinge denkt, ging aus seinen 
Äußerungen nicht ganz klar hervor, er wollte auch offenbar vermeiden, 
seine Gedanken in eine zu präzise Form zu kleiden. Was ihm vorschwebt, 
ging aber deutlich aus der Äußerung hervor: „Man wird ja sehen, ob 
Rußland mit seiner Auffassung allein dasteht, daß ein durch einen 
internationalen Vertrag geschaffener Zustand nicht von einer Macht 
allein zu ihren Gunsten umgestoßen werden kann.“ 
Die Eventualität eines Nichtzustandekommens der Konferenz scheint, 
wie aus den Äußerungen des Herrn Iswolski und des Herrn Stolypin 
hervorgeht, zurzeit in den Bereich der Erwägungen der leitenden Per¬ 
sönlichkeiten gezogen zu werden. Die panslawistischen und ser¬ 
bischen Kreise arbeiten offen darauf hin, die Konfe¬ 
renz scheitern zu lassen, um auf diese Weise zu erreichen, daß 
die Frage der Anerkennung der Annexion Bosniens und der Her¬ 
zegowina eine offene bleibt. Ihre Hoffnungen gründen sich dar¬ 
auf, daß Rußland, welches durch die Macht der Verhältnisse jetzt 
zu einer mehr oder minder passiven Rolle verurteilt ist, in einigen 
Jahren in der Lage sein wird, den Serben in einer wirk¬ 
sameren Weise zu helfen als jetzt. Als ich neulich mit dem ser¬ 
bischen Gesandten1), mit dem ich persönlich auf sehr gutem Fuße stehe, 
die Lage besprach1, gab dieser ganz deutlich zu verstehen, daß, wenn 
Serbien die verlangten territorialen Kompensationen nicht erhalten könne, 
*) D. Popowitsch. 
44
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.