Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

noch nicht gelungen ist. Seine Geschicklichkeit macht es König Ferdinand 
möglich, zwischen den zahlreichen schweren Verwicklungen der inneren 
Lage und dem Wunsche zu lavieren, zu Rußland in ein möglichst gün¬ 
stiges Verhältnis zu gelangen, ohne sich Österreich gegenüber zu kompro¬ 
mittieren, auf dessen Sympathien seine Regierung gegenwärtig ange¬ 
wiesen ist. 
Bei dieser verwickelten politischen Lage kann die Rolle des russischen 
Vertreters im wesentlichen nur eine abwartende sein. Dies schließt natür¬ 
lich einen wohlwollenden Meinungsaustausch mit dem König oder den 
leitenden Persönlichkeiten nicht aus. Aber diese Aussprachen können, 
wie Sie in Ihrem Rriefe vom 5. Februar erwähnten, bei uns kein be¬ 
sonderes Vertrauen erwecken. Sie geben uns keine Gewähr für die Zu¬ 
kunft, denn selbst Danew ist seinerzeit trotz seines Rufes als „russophil“ 
dazu gezwungen worden, mit Österreich zu gehen, statt sich auf unsere 
Seite zu stellen. Ich darf infolgedessen Ihre Aufmerksamkeit auf den 
Umstand lenken, daß das gegenwärtige Kabinett bei uns kein Vertrauen 
genießt, um so mehr als der Ruf der einzelnen Persönlichkeiten, die es 
bilden, ein sehr zweifelhafter ist. 
Die bevorstehenden Wahlen werden vielleicht dem Kabinett Radosla- 
wow eine Majorität bringen. Wie würden Sie sich in diesem Falle ver¬ 
halten? Vielleicht könnten wir Bulgarien in einigen konkreten Fällen 
unterstützen, wenn wir die Sicherheit erhielten, daß Bulgarien unab¬ 
hängig von den einzelnen Persönlichkeiten des jetzigen oder eventuellen 
zukünftigen Kabinetts handelt. Es ist aber schwierig eine Annäherung 
Rußlands an Bulgarien und Bulgariens — unter russischer Vermitt¬ 
lung — an Serbien herbeizuführen, wenn nicht ein völliger Umschwung 
in der öffentlichen Meinung und ein Wechsel in der bulgarischen Regie¬ 
rung eintritt. Denn solange die jetzigen Minister am Ruder bleiben, ist 
für uns Zurückhaltung und äußerste Vorsicht geboten. Wie wenig zu¬ 
verlässig die gegenwärtige Regierung ist, ergibt sich aus einer uns aus 
ganz geheimer Quelle zugegangenen Mitteilung, daß die bulgarischen 
Minister ausländischen Vertretern gegenüber erklärt hätten, Ihre langen 
Unterredungen mit dem Könige machten den Eindruck, als wenn der 
König hinter dem Rücken seiner Minister Politik treiben wollte, doch 
werde seine persönliche Politik nicht ausgeführt werden. 
Wenn das jetzige Kabinett durch ein Koalitionsministerium mit Ma- 
linow an der Spitze ersetzt werden würde,, so würden wir ein derartiges 
Ereignis in der Aussicht begrüßen, Bulgarien vor dem Verfall bewahren 
zu können. Ein derartiger Ministerwechsel würde zu tatkräftiger Unter¬ 
stützung von unserer Seite führen. Es würde uns z. B. möglich sein, den 
Abschluß der bulgarischen Anleihe in Paris zu fördern und eine An¬ 
näherung zwischen Bulgarien und Serbien in die Wege zu leiten. Aber 
auch dann würden wir äußerste Vorsicht beobachten und nur ganz all¬ 
mählich vorgehen können, weil wir sonst Gefahr laufen würden, das 
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