Wie mir Paschitsch ganz offen mitteilt, sind diese Nachrichten völlig
unzutreffend. Es ist weder ein formales Bündnis noch irgendeine
schriftliche Vereinbarung in Bukarest unterzeichnet worden. Dagegen
ist in den freundschaftlichen Erklärungen sowohl der rumänischen
Staatsmänner als auch der Vertreter Griechenlands und Serbiens zweifel¬
los die ernste Neigung zum Abschluß eines Vertrages zutage getreten;
Puimänien ist fest entschlossen, die Bestimmungen des Bukarester Frie¬
densvertrages vom 28. Juli 1913 aufrechtzuerhalten, und wird in keinem
Falle eine Änderung zulassen und jeden Versuch, den Status quo zu
ändern, zurückweisen. Diese Absicht wird auch von allen politischen
Führern und dem jetzigen Kabinett Bratianu unterstützt.
Nach den Worten des serbischen Ministerpräsidenten hat in Bukarest
niemand eine so richtige Auffassung der politischen Lage auf dem Bal¬
kan wie König Karl selbst, der während der Paschitsch gewährten Audienz
seine Verurteilung des sinnlosen Beginnens der Türkei und Bulgariens
mit dem Ausruf schloß: „Wer sollte jetzt noch glauben, daß Rumänien
in die Notwendigkeit versetzt werden könnte, dafür einzutreten, daß ge¬
wisse ägäische Inseln dem Besitzstände der Türkei erhalten bleiben?“
Dieser Ausruf des ehrwürdigen Königs hat auf Paschitsch einen großen
Eindruck gemacht, der daraus den Schluß zog, daß der König im Ernst¬
fälle seine Armee zum Schutze der griechischen Interessen in Be¬
wegung setzen wird.
Ohne Zweifel ist ein solcher Ausspruch aus dem Munde des Königs
ein Beweis dafür, daß sich in den politischen Ansichten des Monarchen
ein bedeutender Wandel vollzogen hat, da er bisher stets die Anweisungen
aus Berlin und Wien befolgt hatte.
Aus den Unterhandlungen mit den rumänischen Ministern schließt
Paschitsch, daß die Verhandlungen beider Staaten über Handels- und
wirtschaftliche Fragen gute Fortschritte machen und daß ihr Abschluß
für Serbien und Rumänien politisch von Vorteil sein wird.
Hartwig.
Nr. 907.
Vertrauliches Schreiben des russischen Außen¬
ministers an den russischen Gesandten in Sofia1)
17. Februar
V°m 2. März 'H14-
Nr. 129.
Die von Ihnen nach Ihrer Ankunft in Sofia erhaltenen Schreiben und
Berichte schildern die schwierigen Verhältnisse, die seit dem letzten
Kriege in Bulgarien herrschen, und die zu überwinden ihm bis jetzt
1) Benckendorff Bd. III, Nr. io/jo, S. 261.
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