Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Wenn man ferner in Betracht zieht, daß die österreichischen und un¬ 
garischen Zeitungen Lobgesänge für König Karl und Majorescu anstim- 
men und auch dem neuen Ministerpräsidenten Bratianu sympatisch 
gegenüberstehen, so kann man kaum von einer Entfremdung zwischen 
diesen beiden Staaten sprechen. Es wäre meiner Ansicht nach daher 
richtiger anzunehmen, daß Österreich alles versucht, um Rumänien da¬ 
von abzuhalten, den Bündnisvertrag zu kündigen, was von seiten der ru¬ 
mänischen Regierung bloß eine Bestätigung des vollzogenen Umschwun¬ 
ges der öffentlichen Meinung bedeuten würde. 
Das oben Ausgeführte sowie einige persönliche Eindrücke und Be¬ 
obachtungen überzeugten mich davon, daß die rumänische Regierung 
einstweilen den Vertrag mit Österreich nicht kündigen will oder kann, 
und daß das Bündnis daher auch jetzt noch besteht. Diese meine per¬ 
sönliche Ansicht habe ich einem Rumänen mitgeteilt, mit dem ich schon 
seit Jahren in freundschaftlichen Beziehungen stehe. Diese Persönlich¬ 
keit hat lange Zeit eine hervorragende Stellung in der rumänischen Diplo¬ 
matie eingenommen und ist stets ein überzeugter Freund Rußlands ge¬ 
wesen. Bei meiner Ankunft in Bukarest hat er mir viel nützliche Hin¬ 
weise geben können und meine ersten Schritte bedeutend erleichtert. 
Die genannte Persönlichkeit hat mir gesagt, daß sie ganz genau wisse, 
daß in früheren Zeiten ein Bündnis zwischen Österreich und Rumänien 
bestanden habe, und daß sie annähme, daß dieser Vertrag bis jetzt nicht 
abgeändert worden sei. Gleichzeitig versprach sie, möglichst genaue Er¬ 
kundigungen einzuziehen. Nach einigen Tagen teilte mir mein Freund 
mit, daß der Vertrag in der Tat seine frühere Kraft besäße, und daß er 
in allgemeinen Zügen darin bestünde, daß jede Seite sich verpflichte, 
ihrem Bundesgenossen im Falle eines Angriffes von seiten Rußlands mit 
allen militärischen Kräften zu Hilfe zu eilen. Dieser Vertrag sei von 
dem verstorbenen Bratianu auf zehn Jahre geschlossen worden, sei dar¬ 
auf für eine gleiche Dauer erneuert, aber während eines der Ministerien 
Karps sei die Erwähnung der Vertragsdauer gestrichen und die Bestim¬ 
mung hinzugefügt, daß der Vertrag ein Jahr nach der offiziellen Kün¬ 
digung durch einen der vertragschließenden Teile erlösche. 
Indem mir mein Freund diese Mitteilungen machte, gab er seiner 
festen Überzeugung Ausdruck, daß schon jetzt das rumänische 
Volk in keinem Falle einen bewaffneten Zusammenstoß 
mit Rußland zulassen würde, und drückte die Hoffnung aus, 
daß es der russischen Diplomatie bald gelingen möge, die rumänische 
Regierung zu einer Kündigung des Bündnisses mit Österreich zu be¬ 
wegen. 
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Poklewski-Koziell.
	        
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