Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

in seiner auswärtigen Politik besitzt, und daß diese in Zukunft aus¬ 
schließlich rumänische Interessen verfolgen wird, für uns eine entschie¬ 
den günstigere Bedeutung. 
Man muß sich jedoch fragen, sind derartige Erklärungen aufrichtig 
und ist Rumänien wirklich Österreich gegenüber durch keinerlei Vertrag 
gebunden? Es will mir scheinen, daß man bei der Beantwortung dieser 
Frage folgende Gesichtspunkte im Auge behalten muß: i. die alte und 
sehr herzliche Freundschaft zwischen dem österreichischen Monarchen 
und König Karl; 2. den großen Einfluß Deutschlands auf den König 
und die rumänische Regierung. Diese Großmacht wird hier von vielen als 
ein selbstloser Freund Rumäniens betrachtet. An sie wendet man sich um 
Rat in schwierigen Augenblicken und sie läßt immer die nötigen Infor¬ 
mationen und Ratschläge hierher gelangen. So ist es z.B. bekannt, daß 
Kiderlen bis zu seinem Tode in einem privaten Briefverkehr mit König 
Kari gestanden hat, welcher durch ihn schon im April 1912 den Ab¬ 
schluß des Bündnisses zwischen Bulgarien und Serbien erfahren hat1). 
Man kann nicht daran zweifeln, daß ein derartiger Einfluß Deutsch¬ 
lands auf die rumänische Regierung besteht; dieser Einfluß wird ent¬ 
schieden dazu benutzt, um Rumänien im Fahrwasser der österreichi¬ 
schen Politik zu erhalten. 3. Obgleich die rumänische Regierung stets 
geleugnet hat, daß ein Bündnis mit Österreich besteht, so darf man doch 
kaum zweifeln, daß ein solches seinerzeit wirklich abgeschlossen worden 
ist, und viele geben diese Tatsache hier zu. Wenn dem aber so ist, 
so fragt man sich, zu welchem Zeitpunkt hat ein derartiges Bündnis 
zu bestehen aufgehört, und es ist außerordentlich schwierig, diese Frage 
zu beantworten, denn man kann in den Beziehungen zwischen den beiden 
Staaten auf keine Periode hinweisen, in der eine gegenseitige Entfrem¬ 
dung zu bemerken ist, die zweifellos die Folge des Erlöschens des Bünd¬ 
nisses gewesen wäre. 4* Mir ist von mehreren Mitgliedern der hiesigen 
Regierung gesagt worden, Rumänien müsse gute Beziehungen zu Öster¬ 
reich unterhalten, da von letzterem das Schicksal der transsylvanischen 
Rumänen abhängt. Wir sehen andererseits, daß auf den Posten eines 
österreichischen Gesandten in Bukarest Graf Czernin ernannt worden 
ist, kein Diplomat, sondern der Vertrauensmann des Erzherzogs Franz 
Ferdinand, welcher während des letzten Besuches in Rumänien mit den 
hiesigen Vertretern der transsylvanischen Rumänen gesprochen und bei 
der Feststellung ihrer Wünsche die ungarische Regierung offen wegen 
ihrer jetzigen Politik den Rumänen gegenüber kritisiert hatte. Graf 
Czernin selbst hat vor einigen Jahren eine Schrift verfaßt, in der er für 
die Rechte der von den Ungarn unterdrückten Nationalitäten eintrat, und 
hat neulich in einem Zeitungsinterview der Hoffnung Ausdruck gegeben, 
daß die ungarische Regierung den Rumänen Zugeständnisse machen 
werde. 
x) Vgl. Aktenstück Nr. 572, S. 180.
	        
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