Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

um sie gegebenenfalls als Schutz gegen serbische Geschosse enthüllen zu 
können. Nun ließ ein österreichischer Leutnant beim Durchmarsch 
durch einen Ort eigenmächtig seine Fahne entrollen, worüber Marafini 
einen förmlichen Wutparoxysmus bekam. Auf Befehl der Kommission 
mußten die Österreicher ihre Flagge einziehen und Mietzl, der öster¬ 
reichische Delegierte, entschuldigte sich mit dem Versehen des Leutnants. 
Das genügte aber dem Italiener nicht, sondern er befahl seinem Detache¬ 
ment, auch die Fahne zu entrollen und sie genau bis zu der Stelle m 
tragen, wo die Österreicher die ihrige eingezogen hatten. Darüber geriet 
nun wieder der Rest der Kommission in starke Erregung, und Potapow, 
der Russe, forderte die Delegierten auf, sich im Trabe nach vorwärts zu 
begeben, um nicht unter der fremden Flagge marschieren zu müssen. 
Die Entente folgte der Aufforderung, während die Allianz äußerlich 
einig, aber voll innerer Konflikte zurückblieb**). Auch der Engländer 
blieb, allerdings unter Protest, zurück, weil er wegen Hämorrhoiden 
nicht zu traben vermag. Ich brachte nun folgenden Vermittlungsantrag 
ein: Jeder Delegierte, der sich durch das Vorgefallene beleidigt fühle, 
solle zurückreiten, und mit entfalteter Fahne dieselbe Strecke durch¬ 
messen, die die österreichische und italienische Fahne zurückgelegt hat¬ 
ten. Dieser Vorschlag fand Beifall bei der Allianz, aber Mißbilligung 
bei der Entente, die nicht umsonst vier Kilometer zurückreiten wollte. 
Immerhin war dadurch das Eis zwischen den feindlichen Brüdern ge¬ 
brochen, und der Nachmittag vereinte die Allianz wieder äußerlich ver¬ 
söhnt im österreichischen Zelte. 
Meine Haupttätigkeit besteht überhaupt im Vermitteln zwischen Mietzl 
und Marafini, was mir bisher mit einigem Humor auch noch stets ge¬ 
glückt ist. Nur in einer Sache sind beide sich stets einig, die Grenzen 
Albaniens, auf das ja beide Länder reflektieren, so weit wie möglich zu 
stecken. Und dazu wird jede kleine Ungenauigkeit, die das Londoner 
Protokoll aufweist, hervorgesucht. 
Nach den Äußerungen der hiesigen österreichischen Offiziere scheint 
man im dortigen Offizierkorps einen Krieg mit Italien als unvermeidlich 
anzusehen**), und wünscht ihn sogar herbei. Lieber will man sich mit 
Serbien verständigen **). 
Der Führer des österreichischen Detachements, Oberleutnant Mühl¬ 
hofer, ein sehr energischer und tüchtiger Feldsoldat, der in Tripolis 
gegen die Italiener***), bei Janina gegen die Griechen gefochten hat, 
machte mir folgende für die Stimmung der deutsch-österreichischen 
Offiziere sehr bezeichnende Bemerkung: 
Er sagte, Österreich ist ein Staat, der in nicht zu langer Zeit ausein¬ 
anderfallen wird. Vorläufig aber hält es, wenigstens militärisch, noch die 
ganzen in ihm vereinigten Völkerstämme fest zusammen. Diese Zeit muß 
man benutzen, um noch einmal, vielleicht zum letzten Male, die gesamten 
österreichischen Slawen für das Germanentum ins Feuer zu werfen. 
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