Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 436. 
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen 
Amtes von Schoen.1) 
Konzept. 
Berlin, den 20. Oktober 1908. 
Der serbische Minister des Auswärtigen, Herr Milowano witsch* 2), be¬ 
suchte mich heute und trug mir vor, daß Serbien, dem in den letzten 
Jahren die Gunst des Schicksals wenig gelächelt habe, unter den gegen¬ 
wärtigen Verhältnissen die Erfüllung längst gehegter Wünsche zu er¬ 
reichen hoffe. Dieselben gingen dahin, von der Großmut Österreich- 
Ungarns einen kleinen Streifen Landes, höchstens ein Zehntel von Bos¬ 
nien und der Herzegowina darstellend *{*), welcher eine natürliche Ver¬ 
bindung zwischen Serbien und Montenegro bilde und ihm somit ein 
débouché nach dem Adriatischen Meer eröffnen würde, zu erlangen. Er 
glaubte durch einen solchen Großmutsakt seitens der österreichisch- 
ungarischen Monarchie würde die Grundlage für ein dauerndes sehr 
freundschaftliches Verhältnis zwischen der Monarchie und Serbien ge¬ 
schaffen werden. Andernfalls würde das serbische Volk, das wie alle 
slawischen Völker zum Pessimismus neige, in die Stimmung der Ver¬ 
zweiflung geraten. Auch nach türkischer Seite würde Serbien gern 
einen geringen Gebietzuwachs erlangen; wenn dies aber nicht angängig, 
zum mindesten das Recht zur Durchführung einer Eisenbahn durch 
den Sandschak nach Montenegro, eine Bahn, die auch militärisch be¬ 
nutzt werden könnte. 
Ich habe Herrn Milowano witsch, der, wenn er mich auch nicht direkt 
um Befürwortung seiner Wünsche bat, so doch andeutete, daß er die¬ 
selbe dankbar erkennen würde, keinen Zweifel darüber gelassen, daß 
ich eine vermittelnde Rolle in diesen Fragen nicht annehmen könne fff) 
und auch von einer Stellungnahme unsererseits zu den serbischen Wün¬ 
schen absehen müsse. v. Schoen. 
Randbemerkungen Kaiser Wilhelms IL: auf einer Abschrift: 
*f) Verrückt! 
“D Ausgeschlossen! 
■•fl*) Richtig! 
*) Die Große Politik Bd. 26 (I. Hälfte), Nr. 9100, S. 258. 
2) Der serbische Außenminister besuchte eben damals die Kabinette von Rom, Berlin 
und London. 
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