Nr. 8i5.
Der russische Botschafter von Giers, Wien,
an das Ministerium des Äußern in Petersburg.*)
Auszug.
Nr. 84. Wien, den 28' iqi3.
IO. Juni
Streng persönlich.
Der serbische Gesandte Jowanowitsch besuchte mich und sagte mir
als seine persönliche Meinung, die er übrigens in einem vertraulichen
Brief auch Paschitsch mitgeteilt hat, daß nach seiner Ansicht der einzige
Ausweg aus der gegenwärtigen Krisis auf dem Balkan in einem Geheim¬
abkommen zwischen Serbien, Rußland und Frankreich besteht, das
Serbien in Zukunft einen Zugang zur Adria garantiert. In diesem Fall
könnte Serbien sich verpflichten, das von Bulgarien nur zeitweilig be¬
anspruchte Territorium in Mazedonien einzutauschen.
Jowanowitsch hält eine unmittelbare geheime Verständigung über die¬
sen Punkt zwischen Serbien und Bulgarien für undenkbar, da er über¬
zeugt ist, daß Letzteres unverzüglich Österreich davon in Kenntnis setzen
würde. Serbien könnte sich davor erfolgreich bewahren, solange es keine
Verhandlungen über wirtschaftliche Fragen mit dem Ballplatz führt.
Nr. 816.
Graf Thurn an Graf Berchtold.x)
Telegramm. St. Petersburg, den n. Juni igi3.
Über den Konflikt zwischen den Balkanalliierten äußerte sich Herr
Sasonow sehr besorgt und sagte mir, die russische Regierung tue ihr
möglichstes, um den Ausbruch eines Krieges zwischen den um die Beute
streitenden Verbündeten, der denkbarst unmoralisch und geradezu ein
Verbrechen wäre, zu verhindern. Auch Seine Majestät Kaiser Nikolaus
habe persönlich eingegriffen und dieser Tage an die Könige von Bul¬
garien und Serbien telegraphiert, um Höchstdieselben auf die Gefahren,
denen sie sich durch einen solchen Krieg aussetzen würden, aufmerk¬
sam zu machen.
*) Österreichisches Rotbuch Nr. 602, S.3og.
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