Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

zeit König Peter den bereits in Wien angesagten Besuch in letzter Stunde 
habe absagen müssen, weil die öffentliche Meinung seines Landes (?) 
schon den einfachen Besuch des Königs bei dem benachbarten greisen 
Monarchen für eine Erniedrigung Serbiens erklärt habe. Trotz dieses 
unerhörten Vorganges habe Seine Majestät der Kaiser es noch über 
sich gebracht, dem König Peter eine goldene Brücke zu bauen, indem 
er schließlich von dem Besuch unter dem Vorwände abzustehen bat, 
seine Gesundheit sei den damit verbundenen Anstrengungen nicht ge¬ 
wachsen. Es wurde mir auch entgegengehalten, daß der Name einer 
jüngst gegründeten serbischen Zeitung „Piemont“ deutlich zeige, daß 
man in Serbien die Vereinigung mit den anderen außerhalb des König¬ 
reichs lebenden serbischen Brüdern anstrebe. Die ganze Frage einer 
dauernden Annäherung zwischen Österreich-Ungarn und Serbien hinge 
sonach nicht von dem guten Willen der österreichischen Politiker ab, 
die gewiß die Nützlichkeit einer solchen Politik zu würdigen wüßten, 
sondern von der Sinnesrichtung und den politischen Zielen der Serben. 
Auch noch andere Politiker und Parlamentarier habe ich unauffällig 
in gleicher Richtung sondiert. Überall und ausnahmslos bin ich der 
festen Ansicht begegnet, daß angesichts des serbischen Volkscharakters (?) 
der politischen Aspirationen und der festen Verankerung der Belgrader 
Politik in russischem Sinne jeder Versuch zu einer ehrlichen Verständi¬ 
gung von hier aus seinen Zweck verfehlen würde. (!) 
Es dürfte auch schwerfallen, Seine Majestät den Kaiser Franz Joseph 
persönlich für eine serbophile Politik zu gewinnen. Denn selbst dieser 
gewiß abgeklärte und für jeden Ausgleich bestehender Gegensätze ein¬ 
genommene Monarch hat sich noch vor wenig Tagen einem meiner Be¬ 
kannten gegenüber, der in Audienz empfangen wurde, in sehr kräf tigen 
Worten über und gegen die serbischen Nachbarn geäußert. 
Besonders auch die Entsendung von Hilfstruppen von seiten Serbiens 
zur Belagerung und Einnahme Skutaris hat in letzter Zeit noch wesent¬ 
lich dazu beigetragen, das serbische Konto der Monarchie gegenüber 
zu belasten. 
Ich werde fortgesetzt sich mir bietende Gelegenheiten wahmehmen, 
um die hiesigen politischen Kreise in unserem Sinne zu beeinflussen. Im 
vorstehenden habe ich ein getreues! Bild der augenblicklich hier für die 
Politik gegenüber Serbien allgemein maßgebenden Gesichtspunkte ge¬ 
geben. Vielleicht wird es möglich sein, mit der Zeit die Pfade zu einer 
Verständigung hier und besonders in Serbien zu ebnen. Vorbedingung 
dazu ist aber, daß der Grundsatz einer selbständigen Entwicklung der 
Balkanstaaten, der hier noch am 5. November v. Js. vom Grafen Berch- 
told in den Delegationen als leitendes Prinzip für die fernere Politik der 
Monarchie festgelegt worden ist, in gleicher Weise in Petersburg aner¬ 
kannt und befolgt wird. Solange Serbien damit rechnen kann, in seinen 
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