vollkommen außer Anschlag, während Serbien und Griechenland im
Hinblicke auf die äußerste Unwahrscheinlichkeit einer aktiven Koopera¬
tion dieser Staaten mit Österreich-Ungarn gegen Rußland — welches
genötigt wäre, die Sache Bulgariens zu der seinigen zu machen — hierfür
keinen oder bestenfalls keinen ausreichenden Ersatz bieten könnten; auch
eine völlige Einkreisung Bulgariens durch Anschluß der Türkei an die
in Rede stehende Kombination würde das militärische Kräfteverhältnis
bei dem vollkommenen Mangel türkischer Offensivkraft kaum wesent¬
lich bessern, wohl aber Rußland die erwünschte Gelegenheit geben, bei
diesem Anlaß die Verwirklichung seiner Aspiration auf Konstantinopel
anzustreben. Schon im Hinblicke auf letzteren Umstand dürfte aber ein
Beitritt der Türkei zu dieser Gruppierung nicht zu erreichen sein, zumal
sich die Türkei sehr wohl bewußt ist, daß für sie in Europa nichts
mehr zu holen wäre, und daß sich Bulgarien als der beste Wächter des
türkischen Konstantinopel erweisen dürfte, da die Bulgaren alles daran
setzen müssen, damit Konstantinopel und die Meerengen, welche die zu¬
künftigen bulgarischen Küsten in zwei Hälften trennen, türkisch bleiben,
bis sie bulgarisch werden können.
Gelingt es, Rumänien und Bulgarien unter einen Hut zu bringen,
so wird Rumänien, Bulgarien und die Türkei die Kette bilden, welche
dem Vordringen russischen Einflusses nach dem Westen den Weg ver¬
sperrt, wobei das einer hoffnungsreichen Zukunft entgegenkommende
Bulgarien überdies einen wertvollen Faktor für die auf Erhaltung des
asiatischen Besitzstandes der Türkei gerichteten Bestrebungen des Drei¬
bundes bilden wird.
Vom Standpunkte Österreich-Ungarns wäre das Mißlingen der Be¬
mühungen zur Erzielung eines rumänisch-bulgarischen Ausgleiches be¬
sonders empfindlich, da Österreich-Ungarn durch die Verhältnisse auf
die Pflege guter Beziehungen zu Bulgarien gewiesen ist. Diese Politik,
welche die Monarchie seit Jahrzehnten mit Konsequenz verfolgt, fußt
auf der Erwägung, daß Bulgarien mit Österreich-Ungarn keine einzige
Reibungsfläche, wohl aber viele gemeinsame Interessen hat und daß. Bul¬
garien den stärksten und zukunftsreichsten Faktor auf der Balkanhalb¬
insel bildet. Auch hängt die zukünftige Lösung des nicht nur für Öster¬
reich-Ungarn, sondern auch für Deutschland wichtigen, serbischen Pro¬
blems wesentlich von der Entwicklung der österreich-ungarisch-bulga¬
rischen Beziehungen ab. Wir sind uns wohl bewußt, daß die Persönlich¬
keit des Königs Ferdinand kein übermäßiges Vertrauen einzuflößen
geeignet ist. Der Bulgarenherrscher ist aber viel zu klug, als daß er
nicht den großen Wert einer freundschaftlichen Anlehnung an die Mon¬
archie erkennen würde, welche dem Lande Bewegungsfreiheit sowohl
Rußland als den anderen Balkanstaaten gegenüber verschaffen würde.
Andererseits hat uns König Peter bisher nur Beweise von Schwäche und
Ohnmacht gegenüber dem serbischen Chauvinismus erbracht, könnte uns
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