Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

verfocht die Kriegspartei, um sie kurz so zu nennen, mit allen möglichen 
Argumenten, wobei ich ihm bemerkte, daß bei einer solchen Eroberungs¬ 
politik der casus foederis für uns nicht gegeben sein dürfte. Darauf 
legte mein Schwager los, er habe lange Wochen ernst nachgedacht und 
sei zu dem Resultat gekommen: die einzig richtige Politik ist, die Balkan¬ 
völker untereinander ihre Sachen abmachen zu lassen und zuzusehen. Im 
gegebenen Moment könnte man dann zum Frieden helfen. Diese Staaten 
hätten ja den Krieg begonnen, ohne dies den anderen mitzuteilen, jetzt 
müsse man ruhig Zusehen und sie sich gegenseitig die Schädel verhauen 
lassen *f). Eine Eroberung Serbiens sei ein Unsinn, wenn deswegen ein 
allgemeiner Krieg drohen würde, wäre der casus foederis für die Ver¬ 
bündeten nicht vorhanden. Dann wiederholte er die Argumente vom vori¬ 
gen Abend nur in größerer Ausdehnung, und endete mit: „Du weißt gar 
nicht, mit wieviel und was für Menschen ich deswegen zu kämpfen habe, 
nur Berchtold allein versteht mich, ist ganz meiner Ansicht, und das ist 
ein Glück.“ Darauf packte ich meinen Schwager allein in einem Neben¬ 
zimmer und erzählte ihm das mir von Dir mitgeteilte Gespräch Kroba- 
tins1), betonte, daß ich fest glaube, ein solches Vorgehen schaffe nicht 
den casus foederis und daß ich glücklich sei, von seinem Munde zu hören, 
wie er über die zu befolgende Politik denke. Ich nannte ihm nicht 
Deinen Namen noch den von Bärenreither 2) **), sagte ihm, ich könne die 
Namen nennen, wenn er wolle, er verlangte es aber nicht. Nun wieder¬ 
holte er seine Ausführungen mit dem Zusatz: „Wenn man mich fragt, 
welchen Grund man für ein kriegerisches Vorgehen gegen Serbien an¬ 
führen könne, so muß ich ganz ehrlich sagen, ich weiß keinen ein¬ 
zigen.“ Und er schloß mit den Worten: „Ich bin dir sehr dankbar für 
das, was du mir gesagt, du kannst von dem, was ich gesprochen, jeden 
Gebrauch machen.“ 
Meine Ansicht nun, wie ich mir sie gebildet, ist folgende: es gibt eine 
Partei, die den Krieg wünscht, dazu gehört Hötzendorf3), Krobatin und 
wohl noch viele in der Armee, aber auch außerhalb derselben. Diese 
Partei bearbeitet meinen Schwager in ihrem Sinne, aber ganz umsonst***). 
Er und mit ihm Berchtold ****) sind der ebenso festen wie klaren gegen¬ 
seitigen Ansicht, und nach ihrer friedlichen Ansicht wird die Politik 
geführt werden. Das ist ein großes Glück, und die Hauptsache, — weni¬ 
ger günstig, schon wegen der Beunruhigung, die dadurch verursacht 
wird, sind die Gespräche und Äußerungen der Kriegswütigen, wTeil weite 
Kreise über die wirklichen Ziele getäuscht werden. Mein Schwager will, 
1) Betreffs der Äußerungen des Kriegsministers von Krobatin vgl. die Randbemer¬ 
kung Staatsministers von Jagow**). 
2) Einflußreiches Mitglied des österreichischen Abgeordnetenhauses. 
3) Über die noch Anfang Februar fortgesetzten Versuch© Conrad von Hötzendorfs, 
ein kriegerisches Vorgehen gegen Serbien, womöglich auch gegen Rußland herbei- 
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