Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 760. 
Der russische Botschafter in Paris an den 
russischen Außenminister.1) 
Brief. Paris, den 17./30. Januar 1913. 
Sehr geehrter Sergej Dmitriewitsch! 
Nach fast dreiwöchentlicher, ernster Krankheit, und obwohl ich mich 
immer noch ziemlich schwach fühle, habe ich vor vier Tagen die Ge¬ 
schäfte der Botschaft wieder übernommen. In Anbetracht des Ernstes 
der Lage verzichte ich darauf, trotz nachdrücklichen Anratens des 
Arztes, auch nur für wenige Tage nach Südfrankreich zu reisen, um mich 
zu erholen. Ich bitte dringend um gütige Nachsicht mit meinem flüch¬ 
tig hingeworfenen Briefe, in dem ich über meine Unterredungen mit 
den Herren Jonnart und Poincare berichte. Trotz meiner großen Mat¬ 
tigkeit will ich noch ein paar Worte als Erwiderung auf Ihren letzten 
Brief folgen lassen. Ich erhielt ihn, als ich noch das Bett hüten mußte. 
Nicht verheimlichen kann ich Ihnen, daß er mich außerordentlich er¬ 
regt hat und mir, vielleicht infolge meines leidenden Zustandes, unver¬ 
dientermaßen hart erschienen ist. 
Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß mir nie der Gedanke gekommen 
ist, Ihnen eine Anklageschrift zu senden; ich halte mich aber moralisch für 
verpflichtet, Ihnen so genau wie möglich, und selbst auf die Gefahr hin, 
Ihr Mißfallen zu erregen, über die hiesige Stimmung zu berichten, von 
der letzten Endes im entscheidenden Augenblick diese oder jene Ent¬ 
schlüsse der französischen Regierung abhängen können. Ich darf Ihnen 
den Eindruck nicht verhehlen, welchen hier die eine oder andere Hand¬ 
lungsweise Ihrerseits hervorgerufen hat. Zudem scheint es mir, daß es 
sich im Grunde genommen dabei nicht so sehr um die Sache selbst, als 
vielmehr um die Form handelt, und daß mit Rücksicht auf die äußerst 
krankhafte Eigenliebe Poincares von Ihrer Seite aus nur eine 
zuvorkommendere und weniger schroffe Art wünschenswert wäre. So¬ 
dann ist mir in sachlicher Hinsicht Ihr Vorwurf äußerst peinlich, daß 
ich die russische Politik ihrer Handlungsfreiheit zu be¬ 
rauben beabsichtige. Sie werden sich erinnern, daß ich schon 
gleich von Anfang des Balkankrieges an aus eigenem Antriebe auf die 
für uns bestehende Möglichkeit hingewiesen habe, beim Eintritt gewisser 
Verhältnisse unmittelbar auf die Türkei einen Druck auszuüben. Wenn 
ich auch in meinen aufrichtigen Briefen an Sie die Gedanken Poincares 
ausführlich darlege und hierbei manchmal auch als Anwalt Poincares 
i) Iswolski Bd.III, Nr. 710, S. 48- 
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