Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Es will uns scheinen, daß sowohl in dieser als auch in anderen ähn¬ 
lichen Fragen, wenn es unmöglich erscheint, den Siegern die Früchte 
ihrer Erfolge zu sichern, das beste Mittel, gegen die Vorherr¬ 
schaft einer einzelnen Macht darin besteht, daß für alle 
Mächte gleiche Vorteile und Einwirkungsmöglichkeiten 
geschaffen werden. 
Zur Frage der Unstimmigkeiten zwischen den Bulgaren und Rumänen 
übergehend, müssen wir ernstlich beachten, was Rumänien für uns im 
Zusammenhang mit der allgemeinen Lage auf dem Balkan bedeutet. Wie 
Ihnen bekannt, läßt sich in der öffentlichen Meinung Rumäniens unter 
dem Einfluß der Balkanereignisse eine gewisse Bewegung im 
Sinne der Umwertung der früheren Werte beobachten. 
Unter den politischen Führern gewinnt der Gedanke der Annäherung an 
Rußland Raum, und man erkennt die Vorteile einer Herstellung mög¬ 
lichst guter Beziehungen zu Bulgarien und den übrigen Balkanstaaten. 
Indem wir die Bedeutung dieser neuen Richtung in der öffentlichen Mei¬ 
nung Rumäniens vollauf würdigen, müssen wir uns dennoch darüber 
Rechenschaft abgeben, daß ein Umschwung in der auswärtigen Politik 
Rumäniens, die seit dem Berliner Kongreß nach Österreich hinneigte, 
nicht auf einmal verwirklicht werden kann. Der ausschlaggebende Fak¬ 
tor in der Bestimmung der rumänischen Politik ist der König, welcher 
sowohl nach seiner Herkunft als auch nach allen seinen Traditionen bis 
jetzt für einen Zusammenschluß mit Österreich ein trat, an das Rumä¬ 
nien vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad vertraglich gebunden ist. 
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß die letzten Ereig¬ 
nisse auf dem Balkan auch Eindruck auf den bejahrten 
Monarchen gemacht haben, welcher auch dem hohen 
Gnadenbeweise von Ehrung und Vertrauen nicht unzu¬ 
gänglich geblieben ist, mit dem ihn unser allerhöchster 
Herrscher ausgezeichnet hat. 
Indem wir die verschiedenen Einflüsse und Tatsachen zusammen¬ 
fassen, die der allgemeinen Richtung des politischen Lebens in Rumänien 
den Stempel aufdrücken, müssen wir zu dem Schluß kommen, daß 
dieses Land zur Zeit am Scheidewege. steht und sich darüber un¬ 
schlüssig ist, ob es bei der alten Mächtegruppe bleiben oder sich dem 
eben erst im Südosten Europas in Erscheinung tretenden Kräfteverhält¬ 
nis und der allgemeinen Entwicklung anschließen soll. Unseres Erach¬ 
tens verlangen die Interessen Bulgariens gebieterisch die Herstellung sol¬ 
cher Beziehungen zum Nachbarstaat, die den jetzigen Umschwung in der 
öffentlichen Meinung endgültig befestigen würden. Deshalb sollte das 
Kabinett von Sofia einigen durchaus nicht übertriebenen Wünschen des 
Bukarester Kabinetts entgegenkommen, das zudem augenscheinlich zur 
Nachgiebigkeit geneigt ist. Eine unbedeutende Grenzverbesserung mit der 
Abtretung der Festung Silistria und gewisse Garantien gegen die Mög- 
23 Boghitschewitsch, Serbien II. 
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