Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Als leitenden Grundsatz für die österreichisch-ungarische Politik bezeich¬ 
nte der Minister die Absicht auf friedlichem Wege, womöglich mit 
einem diplomatischen Erfolge, jedenfalls aber mit Ehren aus der jetzi¬ 
gen Lage herauszukommen. Einen Krieg könnte ich natürlich leicht in 
24 Stunden provozieren,“ meinte der Minister. „Das will ich aber nicht 
und ich bin mir der Verantwortung, die ich dem Deutschen Reiche gegen¬ 
über trage, vollkommen und jeden Augenblick bewußt.“ Die Sache sei 
aber besonders deswegen nicht leicht, weil, wie er betonen müsse, Öster¬ 
reich-Ungarn seine Politik Serbien gegenüber weniger als Selbstzweck 
verfolge, sondern hauptsächlich als Mittel zu dem Hauptzwecke, sich 
die Möglichkeit zu schaffen, die sieben Millionen Südslawen der Mon¬ 
archie in Ruhe und Frieden als Glieder der Monarchie regieren zu kön¬ 
nen. Ich habe, wie Euerer Exzellenz bekannt, wiederholt in meiner 
gehorsamsten Berichterstattung auf diesen Hauptpunkt hingewiesen. So 
klar hatte ich aber diesen Satz aus dem Munde des lei¬ 
tenden Ministers bisher hoch nicht vernommen. Graf 
Berchtold führte weiter aus, es sei dies eine Frage, die man im Auslande 
nur schwer in ihrer vollen Tragweite ermessen könne*). Er selbst habe, 
als er das Ministerium übernahm, keine Ahnung von der südsla¬ 
wischen Frage gehabt**). Man müsse hier gelebt haben, um sie 
zu verstehen. In Petersburg als Botschafter habe er sich stets gefragt, 
warum Graf Aehrenthal der serbischen Frage ein so entscheidendes Ge¬ 
wicht beilege und sich deshalb immer wieder mit Rußland in Gegensatz 
setze und ihm in Petersburg damit unausgesetzt, wie er meinte, unnötige 
Schwierigkeiten bereite. (?!) Sein Verhältnis zum Grafen Thurn sei ja 
augenblicklich ganz das gleiche; auch dieser begreife nicht den hiesigen 
Standpunkt. Aber je länger und genauer, er, Graf Berchtold, die Dinge 
als leitender Minister hier ansehe, um so wichtiger erscheine ihm 
die südslawische Frage für die Monarchie. Sie habe gerade 
wieder in den letzten Tagen an Ernst gewonnen. Denn leider machten 
sich in Bosnien und der Herzegowina Strömungen geltend, die direkt 
gegen die Monarchie gerichtet seien und sehr zum Nachdenken***) auf¬ 
forderten. Auch besonders Seine Majestät der Kaiser sei von diesen 
Nachrichten empfindlich berührt worden. Der Kaiser habe deshalb heute 
früh auch seine Zustimmung dazu gegeben, daß die dortigen Truppen¬ 
kaders verstärkt würden, aber nur durch Stellungspflichtige und Reser¬ 
visten aus den beiden genannten Provinzen1). Man beabsichtige da¬ 
durch, daß man die Leute bei den Fahnen halte, sie den staatsfeind¬ 
lichen Agitationen zu entziehen. Sollte sich diese Verstärkung nicht als 
Randbemerkungen von Kiderlen: 
*) Wir gewiß. 
**)!!! 
***) Maßregeln? 
3% 
!) Vgl. Nr. 12 485.
	        
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