territoriales Zugeständnis zugunsten Serbiens in Albanien zu erlangen,
sondern meine, daß. das äußersten Falles zu erreichende ein neutralisierter
Hafen auf dem Territorium eines autonomen Albaniens sein würde. Wel¬
ches immer die Stellungnahme Frankreichs sein mag, die durch unseren
Bündnisvertrag bedingt wird, wir werden, wenn wir Serbien noch weiter¬
gehende Unterstützung zuteil werden lassen, doch die moralische Unter¬
stützung nicht nur Englands, sondern auch Frankrsichs verlieren. Es
scheint mir, daß die öffentliche Meinung in Rußland sich vor allem von
dem Gedanken einer Revanche für 1909 leiten läßt; ich empfinde
ihn zu tief, als daß es mir erlaubt wäre, ein derartiges
Gefühl in Rußland abfällig zu beurteilen. Aber es scheint
mir auch, daß wir diese Revanche schon in weitgehendem Maße erreicht
haben und zwar dank der Politik unseres Kaisers, dessen berufener Ver¬
treter Sie sind. Nicht die Furcht vor einem Konflikt mit den Balkanalli¬
ierten und ihren Armeen in ihrem jetzigen Zustand hält Österreich
zurück. Rußland allein und die Stellung, die es einnimmt,
haben Österreich, dessen Programm (territoriale Ausdehnung, Sand-
schak, Saloniki) nach 1909 kein Geheimnis mehr bleiben konnte, ver¬
anlaßt, darauf zu verzichten; auch ist Österreich gleichzeitig
veranlaßt worden, der Aufteilung des Balkans unter die
Alliierten und der Schaffung eines albanischen Staates unter dem
Protektorate aller Mächte zuzustimmen. Es ist mir wenigstens nicht
bekannt, daß Österreich gegen einen solchen Gedanken Einspruch er¬
hoben hätte. Im Grunde genommen bedeutet dies einen völ¬
ligen Umschwung der österreichischen Politik. Außerdem
hat dank der weisen und uneigennützigen Politik Ru߬
lands die ganze Balkanfrage eine unverhoffte Lösung
gefunden, ohne daß es zu einem europäischen Kriege ge¬
kommen ist* Ich glaube, daß, wenn die russische öffentliche Meinung
eines Tages die Dinge in diesem Lichte erblicken wird, keine einzige
Epoche der neueren Geschichte Rußlands ruhmvoller er¬
scheint. Unsere weise und uneigennützige Politik hat uns die Unter¬
stützung Frankreichs und Englands und zu Anfang auch Italiens ge¬
wonnen. Dieses schon erreichte Resultat aufs Spiel zu setzen, und zwar
um einer Frage von sekundärer Bedeutung willen, die im Vergleich zu
den vorhergehenden mehr dem Ehrgeiz als dem berechtigten
Interesse Serbiens erwächst, bedeutet meiner Ansicht nach das
Verlassen des bis jetzt so erfolgreich beschrittenen Weges. Und wir wür¬
den vielleicht auf diese Weise unserem Gegner eine gute Gelegenheit zum
Angriff bieten, wenn sich die internationale Situation durch eine letzte
Forderung unsererseits, deren absolute Notwendigkeit wir nicht beweisen
können, zu unseren Ungunsten verändert haben wird.
Ich bitte Sie, die offene Sprache dieses Telegrammes zu entschuldigen.
Was ich Ihnen sage, ist das Resultat der Beobachtungen, die ich hier
21 Boghitschewitsch, Serbien II.
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