Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

höher tragen als je. Dazu kommt die maßlos freche Sprache der 
serbischen Presse und das unqualifizierbare Verhalten der Serben gegen¬ 
über dem österreichisch-ungarischen Konsul in Prisren1). 
Herr von Jowanowitsch hat Herrn von Ugron unter anderem noch 
gesagt, Herrn von Paschitsch und dem König seien die Hände gebunden, 
da die Kriegspartei das Heft in Händen habe. Würde Paschitsch nach¬ 
geben wollen, so würde er sofort abtreten müssen, und das neue 
Ministerium würde aus dieser Kriegspartei genommen werden2). 
Griechenland hat sich, wie Graf Berchtold mir in Übereinstimmung 
mit der Meldung unseres Gesandten in Athen sagte, ganz auf seiten der 
Serben gestellt. 
Italien ist, wie mir der Minister weiter sagte, wie immer unzuver¬ 
lässig. Der italienische Gesandte in Belgrad3) habe zwar offiziell sich 
im gleichen Sinne wie sein österreichisch-ungarischer Kollege Herrn 
von Paschitsch gegenüber ausgesprochen, nach Erfüllung seines 
amtlichen Auftrages aber den serbischen Minister der 
Freundschaft Italiens versichert. Die italienische Presse fange 
auch an, gegen Österreich-Ungarn zu schreiben, und er habe selbst den 
Eindruck, als ob auch auf Marquis di San Giuliano nicht unbedingt 
Verlaß wäre. Allerdings glaube und hoffe er, daß wenn es zum Äußer¬ 
sten kommen sollte, man wenigstens Neutralität von Italien 
werde erwarten können. 
Es frage sich nun, welche Haltung Österreich-Ungarn gegenüber dem 
unnachgiebigen Standpunkt Serbiens beobachten solle. Der englische 
Vorschlag, alles gehen zu lassen bis zu einer dortseitig gewünschten Kon¬ 
ferenz, halte er nach wie vor für gefährlich. Für eine direkte Pression 
auf Serbien habe er momentan keine genügende Handhabe, um so 
weniger, als Sektionschef Jowanowitsch den Wunsch ausgesprochen habe, 
nochmals mit Herrn von Ugron sprechen zu können. Er wisse nicht 
recht, wie er die Sache anfassen solle. (!?) Von eminenter Wichtigkeit 
sei natürlich die Stellung Rußlands. Es sei ihm gewiß nicht sympa¬ 
thisch, den Weg nach Belgrad über Petersburg zu nehmen, aber es frage 
!) Kurz Yor dem 18. November 1912 hatte sich in Wien das Gerücht verbreitet, 
daß die Serben nach ihrem Einzug in Prisren den dortigen österreichischen Konsul 
Dr. Prochaska mißhandelt hätten. Das Gerücht fand dadurch Nahrung, daß die ser¬ 
bischen Militärbehörden keinerlei Telegramme von und nach Prisren durchließen, und 
daß auch einem k. und k. Beamten, der zur Aufhellung des Schicksals des Konsuls 
nach Prisren entsandt wurde, Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden. Erst nach 
längerer Zeit stellte sich heraus, daß dem Konsul Prochaska kein Leid widerfahren war; 
zunächst aber war durch den Fall Prochaska die Stimmung in Wien gefährlich erregt 
worden. Auf den engen Zusammenhang zwischen der Affäre Prochaska, ihrer Resonanz 
in Wien und der Anordnung militärischer Maßregeln weist auch General von Auffen- 
berg in seinem Erinnerungsbuche „Aus Österreichs Höhe und Niedergang“, S. 2iof. 
hin. Vgl. noch Th. von Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns seit 1868. II, 
292 f., 296; H. Friedjung, Das Zeitalter des Imperialismus III, 224 f. 
2) Vgl. das vorige Aktenstück. 
3) N. Squitti. 
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