Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Die Nachrichten, die wir besitzen, lassen alle hoffen, daß Österreich 
wenigstens in diesem Augenblick wohl kaum nach territorialem Landge¬ 
winn auf dem Balkan strebt. Immerhin könnte sich Österreich-Ungarn 
je nach dem Gang der Ereignisse, besonders infolge seines Streites mit 
Serbien wegen dessen Zugangs zur adriatischen Küste, dazu entschließen, 
sich türkisches oder selbst serbisches Gebiet anzueignen. Für beide Fälle 
wäre es sehr wichtig, sicher darauf rechnen zu können, daß Frankreich 
nicht gleichgültig bleiben würde, wenn unsere Intervention notwendig 
werden sollte. 
Andererseits halte ich es im Hinblick darauf, daß ein rascher Wechsel 
der Lage auf dem Balkan es schwierig macht, alle Eventualitäten voraus¬ 
zusehen, die von uns diese oder jene Handlung zum Schutz unserer 
Lebensinteressen erfordern könnten, für nötig, sorgfältig alles in unse¬ 
ren Besprechungen mit den fremden Kabinetten zu vermeiden, was uns 
in der Folge hemmen könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus scheint es 
mir wünschenswert, auch in dem von Ihnen vorgeschlagenen Brief an 
H. Poincare, alle zu bestimmten Erklärungen zu vermeiden, so z. B. Rede¬ 
wendungen wie die des französischen Ministers: „Unzweideutlich feind¬ 
lich jeder Annexion türkischen Gebietes durch eine Großmacht;“ denn 
sie können sich auch auf Rußland in der Dardanellen¬ 
frage beziehen. 
Indem ich diese letzten Erwägungen ausschließlich zu Ihrer persön¬ 
lichen Information weitergebe, nehme ich die Gelegenheit wahr, Sie 
von neuem meiner Hochachtung und meiner aufrichtigsten Ergebenheit 
zu versichern. 
Sasonow. 
Anlage: 
Entwurf einer Antwort an Poincare. 
„Ich habe nicht verfehlt, dem Herrn Minister des Äußern in St. Pe¬ 
tersburg den Inhalt Ihres Briefes vom 4* November d. J. zu unterbreiten. 
H. Sasonow hat mich ermächtigt, Ihnen zu sagen, daß ebensowenig wie 
Frankreich auch Rußland gegenüber einer territorialen Vergrößerung 
Österreich-Ungarns auf der Balkanhalbinsel teilnahmslos bleiben werde. 
Er stellt mit Befriedigung fest, daß nach Ansicht der Regierung der 
Republik, Frankreich bei einer derartigen Eventualität nicht uninteressiert 
bleiben könnte. In diesem Sinne ist die kaiserliche Regierung sehr ge¬ 
neigt, im Einvernehmen mit den Pariser und Londoner Kabinetten das 
Verhalten zu erwägen, das gegebenenfalls nötig werden könnte.“ 
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