Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 688. 
Der Botschafter in Petersburg Graf Pourtalès 
an das Auswärtige Amt.1) 
Entzifferung. 
Telegramm. St. Petersburg, den 9. November 1912. 
Nr. 265. 
Unter Bezugnahme auf Telegramm Nr. 188 2). 
Als ich heute mit Herrn Sasonow über die Lage sprach, fand ich 
ihn durch italienischen Geschäftsträger über die durch serbischen Ge¬ 
schäftsträger in Berlin geführte Sprache3) unterrichtet. Minister be¬ 
merkte erregt, serbischer Vertreter sei zu dieser Sprache nicht berechtigt 
gewesen, „je le désavoue“. Herr Sasonow will sich in Belgrad über den 
von serbischem Diplomaten angeschlagenen Ton beschweren. Ich fand 
Minister im übrigen konziliant. Er betonte, daß man vor allem Ruhe 
bewahren und sich hüten müsse, Lage zu verschärfen. Er sei lediglich 
Anwalt serbischer Ansprüche, weil er sie für berechtigt und österrei¬ 
chisch-ungarischen Standpunkt für kleinlich halte. Davon, daß Serbien 
größtes Gebiet in Albanien etwa bis Durazzo erhalte, könne keine Rede 
sein; es könne sich nur um schmalen Streifen mit San Giovanni di 
Medua handeln. Auf meine Frage, ob Serbien nicht durch Donau- 
Adria-Bahn mit besonderen Kautelen befriedigt werden könnte, entgeg- 
nete Minister, vielleicht ließe sich auf diesem Wege Lösung finden, 
obgleich er nicht wisse, ob sich Serbien damit zufrieden geben würde. 
Herr Sasonow erklärte ganze Frage für noch nicht spruchreif, sie 
müsse mit Ruhe zwischen den Mächten besprochen und alles versucht 
werden, um eine Österreich-Ungarn und Serbien zufriedenstellende Lö¬ 
sung, die nicht den Keim weiterer Konflikte trage, zu finden. Daß 
Serbien Hafen am Ägäischen Meere erhalte, bezeichnete 
Minister als ausgeschlossen, da Bulgarien Küste dieses Meeres 
beanspruche und es auch schwer wäre, Serbien durch langen Gebiets¬ 
streifen mit solchem Hafen zu verbinden. 
Minister bedauerte, daß Frage der Zulassung Serbiens zum Adria ti¬ 
sch en Meer zum Gegenstand eines „Pronunziamentos des Dreibundes“ 
gemacht worden sei4). Ich entgegnete, der Dreibund sei es nicht ge¬ 
wesen, welcher zuerst wieder angefangen habe, „Gruppenpolitik“ zu 
treiben. Pourtalès. 
*) Die Große Politik Bd. 33, Nr. 12 35i, S.3o6. 
2) Siehe Aktenstück Nr. 678, Anm.2. 
3) loc. cit. 
4) Vgl. dazu Nr. 12З27, S. 281, Fußnote. Das angebliche „Pronunziamento des 
I>reibundes“ in der Frage der Zulassung Serbiens zur Adria gab wenige Tage später 
Sasonow Veranlassung an Frankreich und England die Frage zu stellen, welche Hal¬ 
tung sie einnehmen würden, wenn es nicht gelingen sollte, eine aktive Intervention 
Österreichs zu verhindern. Vgl. Nr. 12З81, Fußnote*). 
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